7. April 2023
Interviews

Eine Fahrt ins (un)ewige Eis bei Spitzbergen

Dr. Peter Kaupke segelte 2019 und 2022 in die Arktis Spitzbergens. Hier erzählt er von den dramatischen Naturveränderungen nördlich des Polarkreises und warum ihn Meeresforscher um Hilfe baten.

Peter Kaupke beim Plastikmüll sammeln – (hier Fischernetz) auf Spitzbergen (Möllerfjord) – Interview zur Besegelung des (un-) ewigen Eises

Peter Kaupke beim Plastikmüll sammeln – (hier Fischernetz) auf Spitzbergen (Möllerfjord)

Herr Kaupke, haben Sie eines Tages einfach zu Ihrer Frau gesagt: „Komm, lass uns nach Spitzbergen segeln?“

Ziemlich genau so war das. Ich bin glücklicherweise mit einer toleranten und abenteuerlustigen Ehefrau verheiratet.

 

Warum Spitzbergen?

Der Norden mit seiner rauen, aber verletzlichen Schönheit hat uns von jeher fasziniert.  Und wenn schon Spitzbergen, dann wollten wir auch dokumentieren, was wir sahen. Außerdem wollten wir Norweger und Forschende, die wir auf unserer Reise trafen, zu ihren ganz persönlichen Eindrücken befragen.

 

Wie kamen Sie zu Ihren Interviewpartnern?

Wir hatten schon während der Reiseplanung Kirchengemeinden, Tourismusbüros und arktische Forschungsstationen angeschrieben. Die Interviews waren in Teilen durchaus sehr persönlich und es ergaben sich hieraus sehr spannende Gespräche.

 

Worum ging es Ihnen bei den Interviews konkret?

Ich wollte herausfinden, wie sich Mensch und Natur im Laufe der Jahre und Jahrhunderte verändert, bereichert oder geschadet haben, und wie die Interviewten, auch im Vergleich mit ihren Eltern und Großeltern, dies erleben. Wir fragten auch, was für sie die wichtigsten Faktoren zum Glück in ihrem Leben sind. Norwegen geht es wirtschaftlich heute viel besser als früher, durch die Erdöl- und Erdgasförderung, aber auch durch die massive Lachszucht. Erkauft ist das jedoch mit massiven Belastungen der Natur, auch hierum ging es bei den Fragen.

 

Ist Ihnen eine Antwort besonders im Gedächtnis geblieben?

Am eindrücklichsten war die Antwort der leitenden Wissenschaftlerin der polnischen Polarstation auf Spitzbergen. Gemeinsam mit ihrem Mann hat sie den Großteil ihres Forscherlebens dieser einsamen Station der Polarforschung gewidmet. Fast lakonisch sagte sie: „Es wird bald so verändert sein, dass es nicht mehr die Welt sein wird, in der ich gerne leben möchte.“

 

Wie haben Sie sich auf Ihre erste Fahrt nach Spitzbergen vorbereitet?

Als allererstes braucht man natürlich ein zuverlässiges Schiff, mit dem man dort oben guten Gewissens segeln kann. Es ist eine Region weitab jeder Rettungsinfrastruktur. Und es braucht eine Crew, die auch bei widrigen Wetterbedingungen die gute Laune nicht verliert. Schiff und Crew müssen in diesen Regionen mit Eisgang, plötzlichem Seenebel, schlafenden Walen und treibenden Baumstämmen zurechtkommen. Diese reißen sich seit Jahrhunderten in Sibirien von Flößen los und treiben mit dem arktischen Strom gen Westen. Manche dieser Stämme sind so voll Wasser gesogen dass sie aufrecht schwimmen. Die Norweger nennen sie „Deadheads“. Wenn man bei Seegang auf diese „Deadheads“ trifft, kann auch ein größeres Schiff leckschlagen und sinken. Daher muss man gut Ausschau halten.

 

Darf jeder in diese Region segeln?

Für einige Bereiche Spitzbergens bestehen Befahrensverbote. Grundsätzlich muss man als Individualreisender beim dortigen Gouverneur eine Genehmigung einholen und dabei seine Befähigung darlegen, mit den arktischen Bedingungen zurechtzukommen. Dazu müssen vorherige Reisen, das Schiff und die Ausrüstung beschrieben werden. Zur Sicherheitsausrüstung muss beispielsweise ein Satellitentelefon gehören. Und man muss wegen der Eisbären eine Schusswaffe führen sowie die entsprechenden Kenntnisse haben.

 

„Man kann jederzeit auf Eisbären treffen.“

Trafen Sie auf Eisbären?

Ja, mehrfach, auf beiden Reisen. Allerdings nie so, dass wir dem Eisbären direkt gegenüberstanden. Wir waren niemals alleine auf Landausflügen und immer sehr vorsichtig.

 

Hier konnten Sie der Gefahr ausweichen. Gab es Situationen, wo es brenzlig wurde?

Wir hatten Situationen mit sehr dichtem Nebel – Sichtweiten von maximal 20 Metern. Das heißt, wir konnten nicht mal den Schiffsbug richtig sehen, geschweige denn, was davor im Wasser schwamm. Da Fischerboote, den Fischschwärmen folgend, gelegentlich sehr plötzlich ihren Kurs ändern, hilft hier auch das Radar nicht verlässlich. Das war gelegentlich spannend. Auch kleinere Eisberge sind auf einem Radar nicht immer zuverlässig zu sehen. Wäre da plötzlich einer im Nebel aufgetaucht, hätte es unangenehm werden können. Und dann gab es noch die erwähnten „Deadheads“. Aber wirklich gefährliche Situationen mussten wir zum Glück nicht erleben.

 

Die Meeresriesen bei Spitzbergen

Bei der Arktis denkt man oft an Wale. Hatten Sie Begegnungen mit den Meeresriesen?

Bei der ersten Reise hatten wir täglich mehrere Begegnungen mit Walen aller Art: Blauwale, Finnwale, Buckelwale, Pottwale, Belugawale und viele Delfine. Zum Teil kamen sie bis wenige Meter ans Schiff – ohne dass wir ihre Nähe gesucht hätten. Bei einer Sichtung nahmen wir Fahrt raus, warteten und manchmal kamen die Tiere zu uns. In 2022 erlebten wir es schockierend anders. Wir waren zur gleichen Jahreszeit unterwegs und hatten während der ganzen Reise nur drei Walbegegnungen. Auf den Lofoten trafen wir eine Walforscherin, die ähnliches von ihrer Arbeit berichtete. Ihre Erklärung war die massive Zunahme des Unterwasserlärms durch die Suche nach Bodenschätzen im Meeresboden mit sogenannten Airguns, die Zunahme des Schiffslärms, aber auch durch militärisches Sonar.

 

Wie ging es nach der ersten Reise in 2019 weiter? Wollten Sie gleich wieder los?

Wir sind sehr tief beeindruckt und bewegt aus der Arktis zurückgekehrt. Aber gleich nochmal los wollten wir dann doch nicht.

 

Woran lag das?

Es war unvergesslich und wunderschön, aber auch anstrengend. Die Reise dauerte vier Monate. Es waren knapp 10.000 Kilometer und so ein Segelschiff ist langsam. Auch Planung und Organisation brauchen Zeit und Kraft und als Skipper ist man nie völlig entspannt, bis Crew und Schiff wieder heil im Heimathafen sind. Es war also keine Urlaubstour und im Beruf warten schließlich auch Patienten und Mitarbeiter auf mich.

 

„Es waren knapp 10.000 Kilometer und so ein Segelschiff ist langsam …“

Über diese erste Reise hielten Sie auch Vorträge. Warum hat man Sie, einen Augenarzt, dazu eingeladen, vor Meeresforschern zu sprechen?

Das hatte ich mich zunächst auch gefragt. Schließlich bin ich kein Experte. Doch darum ging es auch nicht. Bei den Vorträgen, etwa bei Youmares (ein Forum junger Meeresforscher, Anm. d. Red.), sollte ich die Forschenden motivieren, ihr Wissen um die rasanten Veränderungen unserer Natur und Lebensgrundlage so zu kommunizieren, dass wir es schaffen, daraus die dringend notwendige Neuausrichtung unseres Handelns und unserer Lebensziele zu entwickeln.

 

Trotz der Strapazen der ersten Reise segelten sie wieder los.

Durch die Vorträge kam es zu Anfragen verschiedener Institute, sie bei ihren spannenden Fragestellungen zu unterstützen. Und wer die Arktis einmal so intensiv erlebt hat, den lässt sie nicht los. Auch Forschungseinrichtungen haben Not, genügend Mittel für Forschungsfahrten zu finden. Crowd-Science kann da unterstützen und mit einem kleineren Schiff wie unserem kommt man an Stellen, für die Forschungsschiffe teils zu groß sind.

 

Im Drift-Eis, noch 500 Seemeilen bis zum Nordpol
Im Drift-Eis, noch 500 Seemeilen bis zum NordpolWarum baten die Institutionen Sie um Hilfe?

 

Ihrer Reise 2022 war also eher wissenschaftlicher Natur. Worum ging es?

Wir hatten vier Projekte: die Verbreitung von Mikroplastik, die Veränderung von Zooplankton durch die Meereserwärmung, die Veränderung der Biodiversität in Kelbwäldern unter Wasser und die Sedimentprobenentnahme unter Lachsfarmen zu dokumentieren. Diesmal führte unser Kurs über die Shetlands, in die Ausläufer des Golfstroms  und mit ihm über den Nordatlantik bis zur Ostküste Spitzbergens.

 

Was haben Sie dabei festgestellt?

Kurzgefasst: Plastikmüll und Mikroplastik ist überall, auch an den absolut entlegendsten  und unbewohnten Regionen. Durch die steigenden Wassertemperaturen verändert sich die Planktonzusammensetzung. Das arktische, nährstoffreiche geht stark zurück. Das atlantische, weniger nahrhafte Plankton dringt dafür vor. Dies hat massive Auswirkungen auf die gesamten Nahrungsketten im Meer: Seevögel, Fische und Wale haben weniger Nahrung.Werden Sie nochmal aufbrechen?

Ganz sicher, aber wohl eher nicht mehr in die Arktis. Die Veränderung, selbst im kurzen Abstand zwischen unseren Reisen so hautnah zu erfahren, hat uns sehr berührt. Die Lebensverhältnisse auf unserer Erde ändern sich in zutiefst beunruhigender Weise. Dies wird in der Arktis besonders deutlich. Der Permafrostboden beginnt rasant zu tauen. Wir sahen die Überreste hölzerner Walfängerboote, die im arktischen Frost Jahrhunderte überstanden haben und jetzt beginnen zu faulen. Das sind nur zwei klare Zeichen dafür, was passiert. Wir mussten  mit eigenen Augen sehen, wie stark die Gletscher allein in diesen drei Jahren schrumpften.

Wir danken Ihnen für das Gespräch.

 

Zur Person
Dr. Peter Kaupke…

…ist eigentlich Augenarzt, doch 2019 brach er zu seiner Segelexpedition Arctic Circle nach Spitzbergen auf, begleitet von seiner Frau und seinem

Sohn. Im Jahr 2020 lud ihn die internationale Konferenz Youmares ein, um darüber zu berichten. Die Youmares steht unter der Schirmherrschaft der Deutschen Gesellschaft für Meeresforschung e.V. In 2022 fuhr Peter Kaupke erneut zum Polarkreis – diesmal mit wissenschaftlicher Unterstützung.

2014 gründete Peter Kaupke die H.I.T. Stiftung mit dem Ziel, Kindern in strukturschwachen Regionen der Welt bei ihrer Entwicklung zu helfen – unter anderem mit kostenfreien Sehhilfen.

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