27. Dezember 2022
Interviews

„In der FDP braucht man Nerven“

Im Interview spricht Anna von Treuenfels-Frowein kritisch und offen über Hamburgs Stadtentwicklungspläne, Bildung, Verkehrschaos in den Elbvororten und die Lage ihrer Partei zwischen Bundes- und Landesebene.

Anna von Treuenfels-Frowein

Sitzung der Hamburgischen Bürgerschaft, Großer Festsaal, Rathaus // Foto: Anna von Treuenfels-Frowein

Frau von Treuenfels-Frowein, das Anwohnerparken rund um das Kinderkrankenhaus Altona hat für viel Kritik gesorgt, auch von Ihrer Partei. Für Sie geht das Problem noch viel weiter. Warum?

Zunächst hört es sich für die Anwohner so an, als würde der Parkraum zu ihren Gunsten organisiert werden. Aber so ist es nicht wirklich. Der Parkraum wird zugleich verknappt. Das trifft nicht nur die Gegend um das Kinderkrankenhaus. Für Menschen, die auf das Auto angewiesen sind, weil sie zum Beispiel aus den Außenbezirken kommen, fehlen Alternativen, weil ihre Wohnorte nicht gut mit Bussen und Bahnen angebunden sind. Mit dem Auto stehen sie nun ständig im Stau, finden keine Parkplätze und kommen oft zu spät. Gefühlt werfe ich dies dem Verkehrssenator in jeder Bürgerschaftssitzung vor.

Auch ich würde  vom Auto umsteigen, wenn ich denn ein Verkehrssystem vorfinden würde, das mich zuverlässig von A nach B bringt. Das ist aber nicht der Fall. Die Grünen machen  hier  den zweiten Schritt, bevor der erste getan ist. . Sie verkünden eine Mobilitätswende und wollen dann  dass alle nur Fahrrad fahren. Das klammert aber viele aus. Zum Beispiel ältere  und Menschen aus den Außenbezirken. Auch für das Handwerk ist das keine Lösung! Man muss die ganze Stadt im Blick haben und Veränderungen pragmatisch angehen.

Im Vorgespräch erwähnten Sie den Umweltaspekt…

Wenn wir davon sprechen, müssen wir  über Elektroautos reden. Zunächst waren alle  auch die Grünen dafür.  Weil die Autos  keinen CO2 ausstoßen. Jetzt sehen wir, dass es  den Grünen gar nicht primär um die Umwelt geht. Weil nämlich auch Elektrofahrzeugen das Fahren in die  Innenstadt  erschwert wird.  Der Verkehrssenator will, dass Hamburg zur Fahrradstadt wird. Das finde ich, so wie es angedacht ist, für einer Metropole wie Hamburg schwierig.

Senator Tjarks hat allerdings viele Kilometer Autostraßen saniert und ausgebaut. Wie er dem Klönschnack im Interview sagte, will er Autos nicht verbieten und plant sie in den Verkehrsmix ein.

Sanierung und neue Straßen sind richtig und wichtig. Aber hier geht es doch  um den fließenden Verkehr. Wenn Alternativen  zum Auto flächendeckend funktionieren werden die Bürger,  ganz automatisch  und freiwillig das Auto stehen lassen. Bis dahin muss es eine Parallelität der Verkehrsmittel geben. Und Autos verbieten kann Senator Tjarks ohnehin nicht

Was sind Ihre konkreten Vorschläge an dieser Stelle?

Zunächst muss die Parkplatzvernichtung sofort aufhören. Solche Erziehungsmaßnahmen nutzen nichts, stattdessen müssen Alternativen geboten werden. Dann müssen Busse und Bahnen schneller getaktet fahren. Außerdem würde ich ein Elektrobussystem einsetzen, das beim Ausfall von Bahnen problemlos kompensieren kann, das ist aktuell nicht der Fall. Wichtig ist auch eine bessere Staukoordination. Wenn ich in die Elbvororte fahre, plane ich eine zusätzliche Stunde ein, um pünktlich anzukommen. Aber das ist keinem zuzumuten und es ist vor allem das Gegenteil einer Mobilitätswende.

Sie sprechen das Verkehrschaos in den Elbvororten an, das aus den vielen Bauvorhaben resultiert.

Etliche Wege sind gesperrt und es staut sich aller Orten. Viele fahren zudem schnell und entnervt durch die Umleitungen. Ich finde, das ist eine gefahrenträchtige Lage. Das habe ich in der Bürgerschaft immer wieder thematisiert. Ich finde, die Baustellen sind schlecht koordiniert und es fehlt an einem guten Staumanagement.

Sitzt Hamburgs Stadtplanung einem großen Fehler auf?

Eines ihrer großen Anliegen ist die Stadtentwicklung. Kürzlich wurde eine Änderung der Hamburger Verfassung angestoßen, mit dem Vorsatz, dauerhaft bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Die Idee ist es, Baugrund und Immobilien in städtischem Besitz nicht mehr zu verkaufen. Sie sagen, die Idee von Rot-Grün geht nach hinten los. Warum denken Sie das? 

Weil so keine bezahlbaren Wohnungen geschaffen werden. Die Stadt will nur noch Erbbaurecht zulassen. Die Stadt bleibt also Eigentümer der Grundstücke. Das bedeutet, das Investoren – große, wie auch kleine – kaum  Kredite mehr bekommen, weil sie kein Eigentum mehr vorweisen können. Daraufhin sagen viele Investoren, dass sie sich in Hamburg nicht mehr im Wohnungsbau engagieren wollen und das trifft dann auch den Sozialbau.

Eine Kritik an der Baubehörde  lautet, dass zu viele städtische Flächen in private Hände übergingen, mit dem Effekt großer Preissteigerungen der Gelände. Sie scheinen aber entgegengesetzt zu denken, dass zu viel städtischer Besitz negativ ist.

Ich würde städtischen Besitz nicht gegen privaten aufwiegen wollen. Es gibt  in unserer Stadt  auch Negativbeispiele bei der Übernahme durch private Investoren. Das ist natürlich ein gefundenes Fressen für alle, die ein wenig links ticken. Aber von den wenigen schwarzen Schafen auf die Mehrheit der Investoren zu schließen wäre falsch. Wir brauchen die Investoren für den Städtebau, denn die Stadt kann nicht alles allein bezahlen.

Im Klimaplan ist die Stadtentwicklung eine der größten Kostenfaktoren. Und die Folgekosten der aktuellen Krisen – Inflation, Kostensteigerung bei Baumaterialien etc. – sind dort noch nicht einmal  abgebildet. Stellen Sie sich vor, die Stadt  und das bedeutet ja der Steuerzahler müsste das alles finanzieren. Wir brauchen daher Geldgeber, die bereit sind, den Mix aus Wohneigentum, Mietwohnung und Sozialbau mit zu gehen.

Nehmen wir an, diese Art Investoren stünden bereit. Wie könnte man verhindern, dass die Wohnung sich derart verteuern, wie es aktuell der Fall ist?

Das kann man nur bis zu einem gewissen Grad verhindern. Wir brauchen mehr Wohnungen am Markt. Dann sinken die Preise auch wieder. Die Wohnungen sind deshalb so teuer, weil die Baukosten gestiegen sind, weil die Inflation gestiegen ist, weil Lieferketten gestört sind, weil der Fachkräftemangel hineinspielt und die erwähnten energetischen Maßnahmen kommen noch oben drauf.

Es muss einfach mehr gebaut werden, um ein größeres Angebot zu schaffen. Wir müssen vor allem in den Außenbezirken mehr und besser bauen. Natürlich gehört dazu auch die entsprechende Infrastruktur, also Schulen und Kitas. Und wir müssen diese Orte verkehrstechnisch besser anbinden.

Kommen wir zur ebenfalls geplanten 100-jährigen Mietpreisbindung…

Die Mietpreisbindung ist Propaganda, die vielleicht  bei einigen gut ankommt. Aber niemand kann auf den Zeitraum von 100 Jahren garantieren, dass sie funktioniert. Diese ganze Idee ist eine Wette. Ich kann mir kaum vorstellen, wie sowohl die Stadt als auch die Bauherren die in diesem Zeitraum anfallenden Sanierungen noch finanzieren wollen, wenn die Mieteinnahmen fehlen. Um den Wohnungsbau anzukurbeln muss man jetzt andere Hebel umlegen: Das bedeutet z.B.: Beschleunigung der Genehmigungsverfahren, die momentan ewig dauern. In dieser Zeit muss die Investition vorgehalten werden, was richtig teuer ist. Die Genehmigungen müssen schneller erteilt und die Verfahren müssen digitalisiert werden.

Das Gut und Böse in Hamburgs Bildungsplänen

Sie sind Bildungsexpertin. Wie sehen sie die Arbeit von Rot-Grün in diesem Bereich?

Schon zu Beginn meiner schulpolitischen Arbeit habe ich kritisiert, dass das Schulniveau in Hamburg stetig sinkt. Inhalte spielten in der Schule immer weniger eine Rolle – zugunsten einer stärker werdenden Kompetenzorientierung. Dabei hören wir aus den Ausbildungsbetrieben und von den Universitäten seit Jahren, dass die Schulabsolventen weder ausreichenden inhaltliches Wissen mitbringen noch in den Kernfähigkeiten Lesen, Schreiben und Rechnen genügend qualifiziert waren. Wir, also SPD, Grüne, CDU und FDP, haben dann den Schulstrukturfrieden (Rahmenvereinbarung zur Verbesserung des Hamburger Schulsystems in 2019, Anm. d. Red.) ausgehandelt.

Damals hatte ich das Gefühl, dass wir endlich etwas in der Schulpolitik bewegen konnten. Wir wollten mehr Fokus auf Lerninhalte, die auch abgeprüft werden, um die Schülerinnen und Schüler auf ihr Leben nach der Schule vorzubereiten. Die Umsetzung mit der Überarbeitung der Bildungspläne war ein guter Ansatz und gelungen. Aber die Grünen sind plötzlich Gegen diesen Kompromiss und die von Ihnen mitverhandelten Inhalte. Was ich schlicht verantwortungslos finde, weil es hier um die Zukunft und Wettbewerbsfähigkeit unserer Jugend geht.

Im Dezember hat Schulsenator Rabe die neuen Bildungpläne vorgelegt. Wie schätzen Sie diese ein?

Es ist richtig, dass die neuen Bildungspläne mehr Fokus auf fachliche Inhalte legen und den Schülern endlich wieder mehr Wissen vermitteln wollen. Ich hätte mir da noch deutlich mehr gewünscht. Was ich kritisiere, ist, dass von verschiedenster Seite nun versucht wird, den gefundenen Kompromiss wieder aufzuweichen – zum vermeintlich besten der Schüler. Solch einen „Kuschelkurs“ finde ich fahrlässig, denn es geht um den Erfolg unserer Kinder, denen nun vermittelt wird „ihr müsst nicht so viel Lernen, Hauptsache ihr wisst genug über das Klima, aber Rechtschreibung und Rechnen sind nicht so wichtig“. Gerade in den Familien, in denen die Eltern das Lernen nicht ständig begleiten können, müssen Kinder die Chance erhalten, entscheiden zu können, was sie später beruflich tun möchten. Sie selbst sollen das für sich entscheiden und nicht die Eltern oder Lehrer. Ich will eine gute Bildung, mit der das geht. Dafür werde ich auch weiterhin kämpfen.

Kann eine Ampelkoalition überhaupt funktionieren?

Sie scheinen mit dem rot-grünen Senat zu hadern. Auch auf Bundesebene gibt es Kompatibilitätsprobleme. Sind die Ansichten zwischen Rot-Grün und FDP zu verschieden?

Ist eine gute Zusammenarbeit überhaupt möglich?  Ich bin der Meinung, dass es geht. Man muss beachten, dass die Ampel gleich mit Krisenbewältigung starten musste. Dazu ist es eine Konstellation, die es so auf Bundesebene noch nie gab. Es gibt schon ein paar Dinge, die ich mir auch anders wünschen würde. Aber ich ziehe meinen Hut davor, wie alle in der Regierung ihr Bestes geben, die innen- und außenpolitischen Krisen zu bewältigen. Gerade zu Beginn sah ich schon Schnittpunkte mit den Grünen. Ich fand die Idee des Fortschritts sehr attraktiv und dachte, endlich wird es hier digitaler und offener, nicht so rückwärtsgewandt.

Anna von Treuenfels-Frowein // Foto: Hamburger Bürgerschaft
Sitzung der Hamburgischen Bürgerschaft, Plenarsaal // Foto: Hamburger Bürgerschaft

Die Arbeit in der Opposition

In Hamburg ist die FDP in der Opposition. Wo haben Sie Kritikpunkte an der Regierung?

Ich habe in den vergangenen Jahren die rigiden Coronaregeln sehr stark kritisiert. Rot-Grün hat in Hamburg eine Verfassungsändernde Mehrheit und hat stärker als fast alle anderen Landesregierungen in die Bürgerrechte eingegriffen. Den Kampf für die Bürgerrechte wollte ich nicht der Instrumentalisierung durch die AfD überlassen. Schwierig fand ich, dass alle, die die Corona-Regeln kritisiert haben, vorschnell in die rechte Ecke gestellt oder für Corona-Leugner gehalten wurden. Zu Beginn der Pandemie war es noch etwas anderes, aber zum Schluss fand ich die Einschränkungen nicht mehr gerechtfertigt. Diese Maßnahmen haben viele Existenzen vernichtet und einen großen Vertrauensverlust die Politik verursacht. Mit den Nachwirkungen wird unsere Demokratie noch lange beschäftigt sein.

Sie gelangten über ein Direktmandat ihres Wahlkreises Blankenese erneut ins Parlament. Dort waren Sie eine Weile alleinige Vertreterin der FDP. Wie war das für sie?

Dass die Bürger aus meinem Wahlkreis mich damals in die Bürgerschaft gewählt hatten hat mir viel bedeutet. Die erste Sitzung fand wegen der Pandemie bereits mit Masken statt und wir saßen hinter Plastikwänden. Es war schon deswegen eine besondere Situation. Als ich meine erste Rede als Einzelabgeordnete halten durfte, war mir etwas flau – es war die Regierungserklärung des Bürgermeisters. Ich wurde angekündigt mit „Abgeordnete von Treuenfels-Frowein, fraktionslos“.

Aber dann, als ich ans Pult ging, habe ich viel Zuspruch  und unterstützende Gesten erhalten, auch von der Senatsbank. Es war schön, nach diesem harten Wahlkampf, im Parlament so gut aufgenommen zu werden.

Ein politischer Fehler

Der Streit zwischen den Jungen Liberalen Hamburg und der FDP-Landesspitze hat zuletzt für Unmut gesorgt. Wie ordnen sie den Streit ein?

Das Ausschlussverfahren gegen die Mitglieder der Jungen Liberalen halte ich für einen politischen Fehler. Ich glaube aber, dass die Partei sich nun wieder gefangen hat. Alles andere wäre nämlich nicht gut für unsere Außenwirkung. Denn auch für die konstruktive Arbeit in der Bürgerschaft ist es nicht förderlich, immer wieder damit konfrontiert zu werden.

Die Umfragewerte der FDP sind bundesweit schlecht. Erschwert das die Arbeit der FDP auch in Hamburg? 

Umfragewerte sind eine Momentaufnahme und gehen immer wieder rauf und runter. Wenn man in der FDP  Partei ist, braucht man starke Nerven. Mir gibt es eher zu denken, dass die AfD  bundesweit stabil 15 Prozent erreicht.  Das Erstarken des rechten Randes ist ein großes Problem, an dem alle demokratischen Parteien gemeinsam arbeiten müssen. Wir müssen das Vertrauen derer die sich von der Mitte abgewandt haben zurückerlangen. Auch indem wir mehr Klartext sprechen.

Frau von Treuenfels-Frowein, wir danken Ihnen für das Gespräch.

Zur Person

Anna von Treuenfels-Frowein ist seit März 2011 Mitglied der Hamburgischen Bürgerschaft. Im Jahr 2020 zog sie erneut für die FDP in das Landesparlament ein, zunächst als einzige Vertretung ihrer Partei, die an der 5-Prozent-Hürde scheiterte. Für die FDP war es ein Debakel, für Anna von Treuenfels-Frowein aber ein großer persönlicher Erfolg, das Direktmandat aus Blankenese zu erhalten.
Die FDP-Politikerin engagiert sich seit Langem im Bereich Bildungspolitik. Sie nahm auch an den Verhandlungen zum Hamburger Schulstrukturfrieden teil – eine Reform des Hamburger Schulsystems.

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