10. November 2022
Magazin-Tipp

Gemeinsam Trauern um ein geliebtes Kind

Der Verein ist in seiner Vielfalt einzigartig und so wichtig: „Verwaiste Eltern und Geschwister Hamburg e.V.“ hilft allen Eltern, die ihr Kind verloren haben. In Trauergruppen trifft man auf Menschen, die das gleiche Schicksal teilen.

Vereinsvorstand

Dr. Hanka Bliwernitz, Vorsitzende des Vereins, mit Beisitzer Gerhard Wittmann (li.) und Trauerbegleitungs-Koordinator Justus Lassnig

Ein Teppich hängt an der Wand. Bei einem genaueren Blick wird klar: Es ist kein normaler Teppich. Er besteht aus zahlreichen kleinen Quadraten. Auf vielen ist ein Foto, ein Name, zwei Daten. Jedes Quadrat erinnert an einen Menschen. An ein Kind, das verstorben ist, um das die Eltern trauern. „Wir haben sechs solcher Teppiche“, sagt Dr. Hanka Bliwernitz und zeigt auf eine Teppichfliese. „Das ist meine Tochter.“

Von Betroffenheit zum Vorsitz

Die Tochter der 40-Jährigen verunglückte 2018 tödlich. Eine Psychologin verwies sie damals an den Verein „Verwaiste Eltern und Geschwister Hamburg e.V.“, dem sie bis heute angehört. Viele werden durch Hebammen, Gynäkologen, Psychologen und die Kirchen auf den Verein aufmerksam. Vor vier Jahren kam Hanka Bliwernitz regelmäßig als Teil einer Elterngruppe. „Es hat mir so geholfen, mir und meinem Mann, mit der Trauer umzugehen“, erzählt sie. „Das möchte ich allen Eltern, die ein Kind verlieren, ermöglichen und dem Verein auch etwas zurückgeben.“ Deswegen ist sie seit knapp einem Jahr die Vorsitzende des Vereins. Ehrenamtlich, neben ihrer Tätigkeit als Ärztin.

Ebenfalls Teil des Vorstands ist Gerhard Wittmann. Er verlor seine Enkelin vor 15 Jahren. Sein Sohn, seine Schwiegertochter und zwei Geschwister waren Teile einer Trauergruppe. Er kümmert sich seitdem um Finanzen, Controlling und Fundraising des Vereins. „Es ist die ideale Beschäftigung für mich“, sagt der 83-Jährige. „Ich fühle mich gebraucht, kann mein Fachwissen nutzen und bin dem Verein innerlich sehr verbunden.“

Fast alle, die sich in diesem Verein engagieren, sind in irgendeiner Weise selbst betroffen und wissen deswegen, wie wichtig die Arbeit hier ist.

Natürlich braucht ein Verein die Ehrenamtlichen. Aber nicht nur. Justus Lassnig ist einer von drei Mitarbeitenden. „Ich bin einer der wenigen, die nicht direkt betroffen sind“, sagt er. Aber natürlich habe auch er schon eigene Trauerfälle erlebt und viele ehrenamtlich begleitet. Justus Lassnig koordiniert die Trauerbegleitung, ist für die inhaltliche Leitung verantwortlich und ist einer derjenigen, mit dem die Trauernden zuerst Kontakt haben – egal, ob sie anrufen oder direkt den Weg in die Bogenstraße antreten. „Jeder macht das in seinem Tempo. Ich höre gut zu und versuche, für die Betroffenen einfach da zu sein“, sagt er.

Trauern unter Gleichgesinnten

15 Trauerbegleitende arbeiten mit dem Verein zusammen, 25 Trauergruppen gibt es aktuell mit etwa 180 trauernden Angehörigen. Manche treffen sich alle zwei Wochen, manche nur einmal im Quartal. „Das kommt auf den Grund der Gruppe an“, erklärt Dr. Hanka Bliwernitz. Jede Gruppe wird „passend“ zusammengestellt: Eltern von Sternenkindern treffen auf Eltern mit dem gleichen Schicksal, es wird nach Todesursachen, nach Alter des verstorbenen Kindes und danach, wie lange der Schicksalsschlag her ist, „sortiert“.

„Man ist mit Leuten zusammen, die ein sehr ähnliches Schicksal teilen. Man versteht sich, man trauert gemeinsam, das gibt so viel Kraft“, berichtet die Vorsitzende von ihren eigenen Erfahrungen. Die Sitzungen laufen ähnlich ab: Für jedes Kind wird eine Kerze entzündet, man spricht über seine aktuellen Gefühle, Wünsche, Rituale. „Es werden auch schwierige Themen besprochen, wie der Wunsch des Nachsterbens oder die Schuldfrage“, sagt Justus Lassnig. „Und bei aller Schwere darf auch gelacht werden, man kann sich hier fallenlassen, es ist ein geschützter Raum.“

Wer zum ersten Mal herkommt, ist vielleicht überrascht, denn der Verein liegt über einem Kindergarten. „Das mag komisch wirken, aber eigentlich passt es perfekt“, sagt Gerhard Wittmann, da neben dem Tod so auch das Leben stehe.

 

Verwaiste Eltern und Geschwister Hamburg e.V.

Der Verein bietet Trauergruppen für verwaiste Eltern, aber auch für trauernde Kinder an. Zudem gibt es Veranstaltungen wie mehrtägige Trauerseminare, Ausflüge, einen jährlichen Weltgedenkgottesdienst im Michel und Abschiedsfeiern für Sternenkinder. Der gemeinnützige Verein finanziert sich über Mitgliedsbeiträge, Kollekten und vor allem über Spenden.

Spendenkonto bei der HASPA:
IBAN DE84 2005 0550 1013 2120 20
BIC HASPDEHHXXX

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