24. Februar 2022
Magazin-Tipp

Präsident der Universität geht – Was war und was bleibt

Dieter Lenzen leitete in den vergangenen zwölf Jahren die Universität Hamburg als Präsident. Nach 50 Jahren in der deutschen und internationalen Hochschullandschaft tritt er am 28. Februar in den Ruhestand. Im Interview erzählt er von von den Chancen deutscher Hochschulen und warum der Fall Lucke keine Auswirkungen hatte.

Präsident der Universität Hamburg // Foto: Universität Hamburg

Prof. Dr. Dr. h.c. Dieter Lenzen Präsident der Universität Hamburg // Foto: ©Pressebild.de/Bertold Fabricius

DHerr Lenzen, wenn dieses Interview erscheint, werden Sie bereits ihren letzten Arbeitstag an der Universität hinter sich haben. Morgen verabschiedet Sie der Senat der Freien und Hansestadt Hamburg. Mit welchen Gefühlen gehen Sie dem entgegen?

Ich fand immer, die Universität sollte frei von Affekten sein. (lacht) So halte ich es jetzt auch und bleibe eher rational. Ich denke, das, was die Stadt erwartet hat, konnte erfüllt werden und damit ist dann auch ein guter Schlusspunkt erreicht.

Erwartungen wurden erfüllt

Was hat die Stadt denn erwartet und was wurde erfüllt?

Es gab schon die Erwartung, dass die Universität nach Möglichkeit erfolgreich sein würde, wenn der Exzellenzwettbewerb weitergeht. Zunächst natürlich bei der Einwerbung von Clustern und im optimalen Fall auch bei der zweiten Förderlinie, den Exzellenzuniversitäten. Wobei man sagen muss: Die ursprüngliche Erwartung ganz am Anfang war eine ganz andere. Damals ging es nämlich noch um die Frage, ob die Universität auf den Kleinen Grasbrook verlegt werden sollte. Als „fremder Berliner“ konnte ich mir nicht vorstellen, dass man so etwas in die Welt gesetzt hat, ohne die Uni zu fragen. Und als ich dann da war, stellte ich fest, dass das eigentlich gar keiner wollte.

Ich persönlich bin völlig der Meinung, dass eine Universität im urbanen Umfeld besser aufgehoben ist, so wie das zumindest mit einem Teil der Universität der Fall ist. Insofern ist das schon eine gute Wende gewesen.

Das heißt, Sie sind nach Hamburg gekommen mit der Ansage, dass die Uni verlegt werden soll und haben dann alles wieder zurückgedreht?

In der Tat. Es gab damals eine ganze Reihe von Broschüren vom Senat der Stadt, die mir auch zugesandt wurden. Es waren mehrere Milliarden dafür vorgesehen, das umzusetzen. An manches hatte man vielleicht nicht gedacht, zum Beispiel, dass eine U-Bahn gebraucht wird, um die Insel auch zu erreichen. Vor allem hatte man aber an Folgendes nicht gedacht: Die Insel steht wie auf Stelen. Wenn ein Schiff vorbeifährt, schwankt die Insel leicht. Das bedeutet, sie könnten naturwissenschaftliche Experimente dort gar nicht machen. Man hätte die Insel ganz umfassen müssen, mit sehr, sehr tief reichenden Metallplanken. Das wäre unglaublich teuer gewesen. Aber die entscheidende Frage war eine politische: Will man das überhaupt?

Exzellenz in Lehre und Forschung

Ihr zweiter Punkt war die Exzellenzinitiative. Hat sie die Lehre und Forschung verbessert?

Die Exzellenzinitiative, jetzt heißt sie Exzellenzstrategie, hat die Universitäten in einen Wettbewerb gebracht, der zu vielen Restrukturierungen geführt hat. Dadurch ist den Universitäten vieles aufgefallen, was für eine zukünftige Entwicklung nicht funktioniert. Das war auf jeden Fall ein positiver Schub. Aber man muss da ein bisschen vorsichtig sein. Es war ja nicht die Absicht des Exzellenzwettbewerbs, eine Verbesserung in der Lehre herbeizuführen. Es ist ausdrücklich ein Forschungswettbewerb gewesen. Insofern wäre das eine falsche Erwartung gewesen. Dass es trotzdem eine stärkere Orientierung der Lehre an der Forschung gegeben hat, besonders an Forschungsuniversitäten, denke ich ist schon der Fall. Was die Forschung selber angeht, so besteht ein wesentlicher Effekt sicher darin, dass mehr Bündelung stattgefunden hat, also dass Hochschulen sich ein oder mehrere Profile geben. Und zum anderen, dass die Kräfte gesammelt werden, die an einer ähnlichen Angelegenheit arbeiten können. Das reicht bis heute hinein: In der Philosophie hier werden drei Professuren frei. Es stellt sich die Frage, ob man das mit den Philosophie-Professoren, die es noch in der Rechtswissenschaft, in der Theologie, in der jüdischen Philosophie und so weiter gibt, komplettieren kann – so dass man synergetische Effekte hat.

Sie waren jetzt rund 12 Jahre in Hamburg. Insgesamt wirkten sie über 50 Jahre in der Lehre und Forschung. Was kommt Ihnen als erstes in den Sinn, wenn Sie zurückschauen?

In der Zeit hat die Universität in Deutschland massive Veränderungen erfahren, die dazu geführt haben, dass das klassische kontinentaleuropäische Universitäts-Verständnis und das Universitäts-Modell faktisch zurückgedrängt worden ist. Nicht nur in Deutschland, sondern auch darüber hinaus. Ich erinnere mich noch, dass Kollegen aus Osteuropa nach der Wende kamen und sagt: „Was macht ihr da? Wieso schafft ihr das alles ab und richtet euch jetzt nach den Amerikanern? Wir sind zu euch gekommen, um mit euch zusammenzuarbeiten. Da hätten wir ja gleich über den Teich schwimmen können.“ Die sogenannte Bologna-Reform hat zu einer schweren Beeinträchtigung des Universitäts-Verständnisses geführt, das allgemeine Menschenbildung zum Thema und zum Gegenstand hatte.

Und es gibt natürlich das Phänomen, dass die Deutschen das mal wieder besonders gründlich machen wollten und sich wirklich an jeden Satz dieser Deklaration gehalten haben, während andere Länder, die nicht verdächtig sind, besonders experimentell zu sein, das einfach unterlaufen haben, mit teils phantasievollen Gebilden. In Deutschland hat man gesagt, wir müssen das jetzt so machen. Das ist wirklich ein Problem.

Und wenn Sie jetzt auf Ihre Hamburger Zeit zurückschauen, woran denken Sie da besonders?

Man lernt, dass eine Veränderung, die man selber mit beeinflussen will, zwölf Jahre braucht. Das kriegen Sie nicht in einer Amtszeit hin. Das ist mir nach vier Jahren klar geworden und besonders dann auch mit Blick auf den Exzellenzwettbewerb. Deswegen habe ich mich breitschlagen lassen, noch eine weitere Periode zu machen, obwohl ich ja längst Pensionist „gewesen sein würde“, sozusagen. Und es war auch richtig, ex post betrachtet, zumal vor sechs Jahren noch nicht erkennbar war, dass es überhaupt noch eine neue Runde der Exzellenzstrategie geben würde. Das war zwischen dem Bund und den Ländern offen und ist dann später entschieden worden.

Ich denke, dass die Universität schon einen starken Imagegewinn in der Stadt gehabt hat. Dazu hat auch das Jubiläum – 100 Jahre – beigetragen. Das heißt, dass die Bürger und Bürgerinnen der Stadt ein positives Verhältnis zu der Universität entwickelten. Es war sehr hilfreich, dass es in 2019, Gott sei Dank noch vor der Corona-Krise, möglich war. Aber auch die vielen öffentlichen Formate, die wir gewählt haben, halfen. Also das, was man heute als Wissenschaftskommunikation bezeichnet, wie „Wissen vom Fass“ oder „Wahnsinn trifft Methode“.

Gutes Image der Universität

Das heißt, die Bürgerinnen und Bürger, die ja für das bezahlen, was wir machen, müssen hier ein Gefühl dafür kriegen, wozu das Ganze gut ist. Im Zweifelsfall für sie selber oder zumindest für das Gemeinwesen. Ich denke, dass es wichtig war, dass wir uns da weiter geöffnet haben. Das wird auch sicher weiter der Fall sein, um den Mitgliedern der Universität mehr Selbstvertrauen beizubringen. Denn wenn sie jemanden über Jahrzehnte sagen, dass er eigentlich unzulänglich sei, dann hält er sich irgendwann auch für unzulänglich. Und das ist ja über viele, viele Jahre so gelaufen. Bis weit in das sechste Jahr hinein gab es ja immer noch mediale Berichterstattung, die sagte, die Universität sei bestenfalls mittelmäßig. Ich habe dann mal zu einem Abend Journalisten eingeladen und sagte „Jetzt zeige ich euch mal, wie es wirklich ist.“ Das habe ich in Berlin auch gemacht. Da waren alle erstaunt. Die Mitglieder der Universität müssen selber wissen, dass sie gut sind und sich nicht etwas Anderes erzählen lassen.

Ich möchte auf ein Ereignis zurückkommen, das noch nicht so lange zurückliegt. Die Veranstaltung von Bernd Lucke in 2019/2020. Es scheint eine schwierige Phase für die Universität gewesen zu sein. Denken Sie, es war rückblickend richtig, die Veranstaltungen an Herrn Lucke zu geben?

Die Professoren sind Beamte und sind verpflichtet, ihre Stunden zu lehren. Er hatte auch das Recht dazu und hat es auch weiterhin. Insofern war das alternativlos.

Aber es kam zu Störungen…

Das war jetzt natürlich besonders sichtbar und vielleicht in diesem Ausmaß nicht erwartbar. Im Übrigen waren die Proteste keine rein studentische Veranstaltung. Der AStA hatte damals eine Demonstration angekündigt, außerhalb der Universität. Das war auch mit uns so abgesprochen. Dass dann andere sich „draufsetzen“ und sagten „Jetzt machen wir mal richtig Krach“, das ist ein anderes Thema. In dem Augenblick verlässt man im Grunde das Wissenschaftssystem und betritt das Sicherheitssystem. Das ist aber nicht unsere Angelegenheit. Wir sind ja keine Polizisten oder Soldaten. Dann ist ein anderer Teil der Gesellschaft zuständig für die Sicherheit einer Person zu sorgen. Das ist ja auch geschehen. Bezahlen mussten wir es dann zwar selber, aber auf jeden Fall hat sich das Thema dann auch irgendwann erledigt. Wir haben das unter anderem ja zum Anlass genommen, eine Kommission einzusetzen, die sich einen Kodex zur Wissenschaftsfreiheit überlegt hat, den wir im Akademischen Senat verabschiedet haben. Das ist gut aufgenommen worden, sodass für künftige Ereignisse auch ein bisschen mehr Selbstsicherheit in Bezug auf solche Themata vorliegt.

Unpolitische Universität?

Ich frage, weil es zur Kontroverse kam, ob die Universität ein unpolitischer Raum oder nur ein unparteiischer Raum sei?

Nicht unpolitisch, nein. Aber was immer die Universität tut, muss sie mit wissenschaftlichen Methoden machen. Dazu gehört natürlich auch Politik – Politik zu untersuchen und so weiter. Das heißt, politische Debatten gehören ins Parlament oder in den öffentlichen Raum. Aber es gehört nicht zum Kernauftrag der Universität, das Parlament zu ersetzen. Das darf sie nicht.

Hat das Ereignis die Universität verändert? Sie haben es ja schon gesagt. Sie haben dort eine Gruppe ins Leben gerufen, die sich um solche Belange kümmert. Richtig?

Ich teile nicht die Auffassung, dass das „Ereignis Lucke“ für die Universität als Ganze in irgendeiner Weise einschneidend gewesen wäre. Für das Gros der Universität, egal ob Studierende oder Lehrende, ist das ein Aperçu. So was passiert mal. Dass die Causa Lucke sozusagen ein Extremfall ist, liegt ja auf der Hand. Bei uns geht es nicht um Macht. Dass das dann jemand verwechselt und sagt, man kann das gleiche Spiel da weiterspielen oder umgekehrt die Rezipienten auch meinen, das sei jetzt hier ein politisches System, das ist natürlich ein Fehler.

Kommen wir nochmal zurück zur Exzellenzstrategie. Was war deren Ursprung?

Die Missverständnisse, die durch die Adaptation des amerikanischen Systems entstanden sind, Bologna ist ein Beispiel dafür, gibt es ja überall. Wenn Sie sich in den, sagen wir mal 90er Jahren, diese ständigen Vergleiche der deutschen Universitäten mit Harvard, Stanford und so weiter angucken, das war immer absurd. Ich kenne das Operating Budget in Columbia ganz gut, weil ich da war. Die hatten damals schon vier Milliarden im Jahr. Wir hatten 250 Millionen. Mit vier Milliarden kauft man Nobelpreisträger und dann hat man plötzlich zehn.

Strategie und Zukunft der Universität

Die Exzellenzstrategie war eine Antwort auf den Versuch der damaligen SPD unter Schröder zu sagen, wir brauchen auch eine Art Harvard und wir stecken eine Milliarde in die Humboldt-Universität, dann ist das unser Harvard. Das ist beim Erfurter Parteitag damals verhandelt worden. Und Sie können sich vorstellen, als Präsident der FU hat mir das gereicht, weil ich wusste, dass die Zahlen das gar nicht hergeben, sondern dass die Verhältnisse umgekehrt sind. Ich bin damals zu Steinmeier gegangen, der damals noch Kanzleramtsminister war, und habe ihm gesagt, ich zeige Ihnen jetzt mal Zahlen, und dann muss das aufhören. Das geht so nicht. Und ich muss sagen, ich rechne ihm das immer noch sehr hoch an, dass er sich die Zeit genommen hat, aber auch völlig perplex war über die tatsächlichen Verhältnisse. Und dann ist das Spiel beendet worden und wir sprachen dann darüber, was kann man an die Stelle setzen? Das war im Grunde eine der Entstehungs-Stunden des Exzellenzwettbewerbs.

Ihnen war die Zukunft der Universitäten stets wichtig. Wohin steuert Deutschland da im Moment?

Es ist so eine Aufbruchstimmung in den Hochschulen entstanden, was zu machen, auch eine größere Bereitschaft, international unterwegs zu sein. Und die Universitäten haben mit dieser Sichtbarkeit auch zeigen können, dass es nicht so ist, dass Wissenschaft nur in Max-Planck-Instituten stattfindet. Das ist heute nicht mehr so, sondern es ist ein gutes Zusammenarbeiten. Das kann man hier am Standort auch beim Desy sehen. Immerhin haben wir voriges Jahr einen Nobelpreisträger begrüßen können.

Es gibt aber auch ungeklärte Verhältnisse. Die Unfähigkeit des Wissenschaftssystems, die Universitäten selbst auszudifferenzieren, ist ein Problem. Sie haben auf der einen Seite die Fachhochschulen. Diese tendieren mit dem Anspruch, mehr Forschung zu machen, zunehmend in Richtung der Universitäten. Umgekehrt ist den Universitäten zunehmend Praxisorientierung abverlangt worden. Statt eine weitere Ausdifferenzierung zu haben, haben sie eine Entdifferenzierung. Das wird auf die Dauer nicht funktionieren. Man braucht ein differenziertes System, sodass Studieninteressierte klarer wissen, was sie erwartet, wenn sie irgendwo hingehen und wo welche Art von Forschung stattfindet.

Verankert in der Gesellschaft

Muss die Uni sich rechnen? Oder tut sie das nicht sowieso, weil sie einen sehr wichtigen Aspekt erfüllt?

Ich will mal so sagen: Die Gesellschaft muss verstehen, dass sie das braucht, was Unis bieten können. Dazu haben die Unis aber auch die Pflicht, das verstehbar zu machen. Man kann nicht einfach daherkommen und sagen „Wir sind großartig, glaubt es uns, zahlt bitte.“ So geht das nicht, sondern wir haben natürlich eine Verpflichtung gegenüber der Gesellschaft, dann auch Erwartungen zu erfüllen, wenn auch nicht alle. Und Sie wissen, dass ich, als ich hier damals herkam, ziemlich viel Rabatz gemacht habe wegen der schlechten Finanzierung der Universitäten. Aber man kann nicht gleichzeitig in einer Corona-Krise, wo Milliarden ausgegeben werden müssen, um Leben zu retten, mit denselben Forderungen kommen. Das geht einfach nicht. Wir sind in einer schweren globalen Krise und wir müssen sehen, dass wir selbst unseren Beitrag dazu leisten, sie zu bewältigen.

Wir haben ein wahnsinniges Privileg. Denn wir sind alle unbefristete Beamte. Es kann uns überhaupt nichts passieren. Da müssen wir dann schon mal die Ärmel aufkrempeln.

Wie geht es nun für Sie weiter, wenn Ihre Präsidentschaft endet?

Na ja, ich bin ja jetzt nicht 65, sondern 74. Das ist der erste Unterschied, den man natürlich in Rechnung stellen muss. Soweit ich das überblicke, funktioniert der Organismus einigermaßen gut. Ich habe eine ganze Reihe von Schreibabsichten aufgeschoben. Ich habe schon vier vorläufige Titel für Bücher an der Wand, die ich gerne realisieren möchte. Darunter eine Aufarbeitung der Nachkriegszeit-Bildungsgeschichte. Zweitens sitze ich weiterhin dem Aktionsrat Bildung vor. Und ich möchte noch mehr und intensiver diese öffentlichen Formate betreuen. Ich bin im Moment mit dem Ernst Deutsch Theater im Gespräch, dass wir dort auf der Bühne etwas machen – Wissenschaft zum Anfassen und miterleben, sozusagen. Also nicht mit Experimenten, das kann man da nicht machen, dann brennt die Bude ab. Aber ich möchte eine Nähe herstellen zu den Menschen, die das interessiert. Die Frage ist, was wird mit Corona? Solche Formate kann man nur in Präsenz machen. Alles andere ist nicht so spannend. Und eine Zeitung hat mir eine Kolumne angeboten. Also muss ich ein bisschen aufpassen, dass ich nicht plötzlich wieder tief drinstecke.

 

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