Montag, 9 Uhr in Alt-Sülldorf auf der idyllisch gelegenen Partylocation „Stadtfarm“. Hier arbeitet Pia Kolling, die bereits wartet und mich gleich auf einen Rundgang mitnimmt. Herumsitzen ist nicht Pias Sache: Von Montag bis Donnerstag arbeitet sie halbtags in Sülldorf. Am Freitag engagiert sich die 23-Jährige ehrenamtlich für ein paar Stunden bei der evangelischen Familienbildung in Blankenese.
Zweimal die Woche hat sie Zirkus-Training – einmal bei der Zirkusschule Tribüne und einmal beim Zirkus Regenbogen an der Uni Hamburg. Am Wochenende spielt Pia Handball bei St. Pauli.
Damit es nicht langweilig wird, geht sie unter der Woche ins Fitnessstudio und ist zudem bei den Pfadfindern aktiv. Pia hat viel Power – trotz geistigem Handicap.
Das Kind, von dem man nicht wusste, ob es jemals sprechen oder laufen könnte, ist heute eine 23-jährige Frau, die demnächst in eine WG zieht. Ihren Elan und ihre herzlich zupackende Art kann man nur bewundern. Vieles von dem, was die junge Frau heute kann, lernte sie auf dem Campus Uhlenhorst, einer speziellen Bildungseinrichtung, die Selbstständigkeit fördert und auf die Arbeitswelt vorbereitet. Nach dem Schulabschluss fand sie zur Stadtfarm.
Der Weg in die Berufswelt
Pia absolvierte hier ein Praktikum, das ihr so gut gefiel, dass sie gleich bleiben wollte. Die Betreiber der Stadtfarm fackelten nicht lange: Seit Herbst 2022 hat Pia hier einen Außenarbeitsplatz, den die Stiftung Alsterdorf ermöglicht.
Wir gehen durch den weitläufigen Garten. „Es ist schön hier, oder?“, fragt sie, und man sieht, die Arbeit an der frischen Luft gefällt ihr. „Hier gibt es immer viel zu tun“, erklärt die Nienstedtenerin und fügt hinzu, dass die Maulwürfe sich über Nacht wieder ausgetobt haben. Damit am Wochenende die nächsten Partygäste einen schönen Garten vorfinden, muss Pia die Hügel entfernen. „Nützt ja nichts“, sagt sie knackig hanseatisch.
Pia Kolling: „Ich mag es, draußen in der Natur
zu sein und ich helfe gerne.“
Nach der Gartenarbeit schaut sie nach dem Leergut. Vor dem Wochenende ist noch Fegen angesagt, die Mülltonnen werden zur Leerung bereitgestellt, Brennholz kommt zu den antiken Öfen, hier und da wird Moos entfernt oder Unkraut gejätet. Sollte das Wetter schlecht sein, geht es in die Werkstatt. Pia ist gerne dort. Ihr Betreuer Friedemann Ries wird dann alles so vorbereiten, dass seine Mitarbeiterin gleich loslegen kann. Meist schleift sie Holz ab, etwa für die Gartenstühle, die eine Ausbesserung brauchen. Gelegentlich arbeitet die junge Frau auch mit dem Akkuschrauber. „Die Fahrradständer vor dem Gebäude hat Pia montiert“, sagt Ries stolz. Pia lächelt bescheiden.
Für alles gibt es einen Plan B
Sie ruht in sich – das war nicht immer so. Aber mit der Zeit lernte Pia, wie sie mit schwierigen Situationen umgehen kann. Für alles gibt es einen Plan B. Eine besondere Begabung hilft der 23-Jährigen zusätzlich: ihr ausgezeichnetes Gedächtnis. Sie weiß zum Beispiel nicht nur, wo sie ihre eigenen Sachen hingelegt hat, sondern auch, wo andere ihre Dinge verlegt haben. Pia bringt Ordnung in das Leben der Menschen um sie herum. Das weiß auch Friedemann Ries: „Pia erledigt so viele Kleinigkeiten im Vorbeigehen, die sich sonst häufen würden. Sie ist die gute Seele der Stadtfarm. Man merkt sofort, wenn Pia mal einen Tag nicht da ist.“
Pias Ehrenamt in Blankenese
Ortswechsel: Wir sind in der evangelischen Familienbildung Blankenese (Fabi). Für gut zwei Stunden pro Woche hilft Pia hier aus – bringt die Post weg, erledigt Besorgungen, kümmert sich um die Wasserflaschen oder schreddert vorsortierte Dokumente – ihre Lieblingsaufgabe. „Das Tollste aber ist, wie Pia mit den Menschen hier spricht, die zu den Kursen kommen. Pia ist immer zugewandt und gibt gerne Tipps, zum Beispiel, wo man am besten die Kinderwagen parken kann“, erklärt Marie Ghiassi, die den Eltern-Kind-Bereich der Fabi leitet.
Genug geplaudert. Pia muss sich nun ranhalten. Der Schredder läuft bereits. In zwei Stunden geht es zum Zirkustraining: „Muss ja sein.“ Sie macht das alles mit links, Volldampf voraus. Pia Kolling ist unser Mensch des Monats!
Zur Person

Pia Kolling ist 23 Jahre alt und wuchs in Nienstedten auf. Trotz Behinderung engagiert sie sich vielfältig und lebt ein aktives Leben. Alltagsängste, etwa bei verspäteten Bahnen, hat sie überwunden. Heute ist der ÖPNV für sie ein Klacks, so wie vieles andere auch.