Frau Prien, ursprünglich sollte dieses Interview sich um Ihre Kandidatur für den Wahlkreis Pinneberg drehen. Doch dann kam alles anders. Als Bildungsministerin Schleswig-Holsteins müssen sie sich nun auch um geflüchtete Kinder aus der Ukraine kümmern. Kürzlich gab es eine Sondersitzung des Bildungsausschusses in Kiel. Was wurde dort besprochen?
Wir sind zum einen im Ausgang der Corona Pandemie und müssen sukzessive den Weg in die Normalität finden. Da ging es insbesondere um die Frage, in welchen Schritten wir Masken und anlasslose Pflichttests abschaffen.
Diese Krisenbewältigung überschneidet sich jetzt natürlich mit dem Thema Krieg in der Ukraine. Es geht vor allem um die Menschen, die fliehen und dies sind mehrheitlich Frauen und Kinder. Wir müssen die Strukturen und zusätzliche Ressourcen wie pädagogische Kräfte und Räume bereitstellen, um die Kinder und Jugendlichen aus der Ukraine möglichst schnell willkommen zu heißen.
Worum ging es hier konkret?
Zum einen haben wir dem Bildungsausschuss dargelegt, wie wir weiter mit der Coronakrise umgehen wollen. Wir haben in der Jamaika-Koalition Schleswig-Holsteins und in der KMK miteinander verabredet, dass wir in den nächsten Wochen sukzessive aus Maßnahmen aussteigen, so dass wir spätestens im Mai dann möglichst viel Normalität an den Schulen haben. Und zum anderen haben wir im Bildungsausschuss vorgestellt, wie wir jetzt an die Aufnahme der Schülerinnen und Schüler aus der Ukraine herangehen.
Gott sei Dank haben wir unsere Strukturen für DaZ, also Deutsch als Zweitsprache, noch in allen Kreisen und Städten, sodass wir die Kinder und Jugendlichen jetzt sehr unkompliziert aufnehmen können. Jeder, der nach Schleswig-Holstein kommt, kann sofort in in einer Schule aufgenommen werden. Entweder in der Erstaufnahmeeinrichtung, wo wir richtige Schulen betreiben, nicht nur pädagogische Gruppen, aber eben auch in den Klassen der übrigen Schulen, insbesondere in den sogenannten DaZ-Zentren.
Bildung in der Krise
Wie sieht es in Bezug auf die Lehrkräfte aus?
Wir stocken die Anzahl der Lehrkräfte und der pädagogischen Kräfte bedarfsgerecht auf. Wir haben begonnen, ukrainische Lehrkräfte und pädagogisches Personal einzuladen, um zu unterstützen und später möglicherweise auch als reguläre Kräfte zu arbeiten. Da müssen natürlich nach und nach dann auch Anerkennungsverfahren durchlaufen werden, aber all das bereiten wir vor. Wir schauen, dass wir die Strukturen für die psychologische Betreuung so aktivieren und ausbauen, dass die Kinder, die auch traumatische Erlebnisse haben, aufgefangen werden. Über 1000 Kinder sind in den Schulen in unserem Land bereits angekommen. Aber wir haben viel Routine damit. Insofern ist die Situation auch wirklich eine andere als 2015. Zugleich haben wir in der Kultusministerkonferenz (KMK) eine Taskforce eingerichtet, die ab heute (18. März) zwei mal wöchentlich tagt und die sich um diese ganzen übergeordneten Fragen kümmert.
Welche zum Beispiel?
Welche Möglichkeiten gibt es zum Beispiel für die Abschlussklasse online Beschulung zu organisieren, damit Schülerinnen und Schüler noch ihren ukrainischen Schulabschluss machen können? Können wir ukrainische Bücher und Lernmaterialien nutzen? Brauchen wir Lizenzen dafür? Ja, die brauchen wir und die beschaffen wir. Oder ob uns der Bund noch helfen kann, mit mehr Schulsozialarbeitern und Schulpsychologen. Wie gehen wir mit der Anerkennung der Abschlüsse ukrainischer Lehrer um? Und viele andere Fragen mehr. Anders als 2015 habe ich als Präsidentin der KMK großen Wert darauf gelegt, dass wir das koordinieren. Und zwar von Anfang an.
Wieder kommen tausende Geflüchtete nach Deutschland. Was ist diesmal anders?
Hat man aus 2015 gelernt?
Wir haben in den Ländern und auf KMK-Ebene viel aus 2015 gelernt. Da war es ja so, dass wir begonnen haben, uns viel stärker zu koordinieren. Im Schulbereich sitzen auf den verschiedenen Ebenen jede Woche zusammen die Experten in mittlerweile gut eingespielten Strukturen zusammen.
Warum ist es jetzt so wichtig, die Kinder so schnell zu beschulen?
Die Kinder brauchen eine feste Struktur und brauchen in ihrem Leben einen klaren Ablauf, der Stabilität gibt. Wenn man in ein anderes Land, in eine neue Umgebung muss, und alles, was man liebgewonnen hat, zurücklassen muss, dann ist das außerordentlich wichtig. Auch, dass man neue Freunde findet und dass man aufgefangen wird in einer solchen festen Struktur. Darüber hinaus ist natürlich auch das Erlernen der deutschen Sprache immens wichtig, um gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen.
Von der Krise zum Alltag
Jetzt den Bogen zu ihrer Kandidatur in Pinneberg zu finden, ist nicht leicht. Daher die Frage: Welche Wertigkeit hat der Wahlkampf jetzt, in Anbetracht eines Krieges?
In der Ukraine sterben Menschen für Freiheit und Demokratie und dennoch ist eine Wahl, auch eine Landtagswahl, nach wie vor wichtig. Es ist auch wichtig, dass wir das ernst nehmen und beim Wähler um Vertrauen werben. Ich glaube, dass wir das Ringen um die besten Lösungen nicht einstellen dürfen. Aber man darf sich jetzt auch nicht im politischen Kleinklein verlieren, in diesen Nickeligkeiten. Die sind jedenfalls für mich im Moment nicht auf der Tagesordnung. Aber ich sage auch, dass man 80 bis 100 Stunden die Woche braucht, auch ich, um diese andere Aufgabe zu erledigen. Das heißt, an den Wochenenden und an den Abenden beschäftige ich mich mit dem Wahlkampf und tagsüber eher mit meinem Regierungsamt.
Wie kam das mit Pinneberg und ihrem Regierungsamt in Schleswig-Holstein? Schließlich sind sie Blankeneserin.
Eigentlich ist Pinneberg fast eine organische Fortsetzung meiner politischen Laufbahn, die ich ja in Hamburg begonnen habe, und zwar im Wahlkreis Blankenese, der angrenzt an den Wahlkreis 24, der Pinneberg umfasst. Nachdem ich Abgeordnete und stellvertretende Fraktionsvorsitzende in Hamburg war, bin ich in ein Regierungsamt nach Kiel gewechselt.
Von Blankenese nach Pinneberg
Und natürlich muss man dann irgendwann auch eine neue politische Heimat finden. Mit dem neuen Bundesland und dem neuen CDU-Landesverband hat sich das so ergeben. Mit Pinneberg ist es eigentlich genau so. Es könnte gar nicht besser passen, weil ich die Probleme hier kenne, weil ich die Zusammenarbeit zwischen Hamburg und Schleswig-Holstein, konkret dann eben auch zwischen dem Bezirk Altona und dem Kreis Pinneberg schon lange kenne. Schon seit 2005 habe ich ja in Schenefeld meine Kanzlei gehabt.
Und wie kam es zum Ministerinnenposten?
Als Daniel Günther, ja auch relativ spät, die Spitzenkandidatur in SH übernommen hatte zu den Wahlen 2017, da kannten wir uns bereits ganz gut und waren einander nicht nur sympathisch, sondern waren auch, glaube ich, beide davon überzeugt, dass wir einen ähnlichen Politikstil bevorzugen. Und dann hat er mich gefragt. Im März 2017, ziemlich genau vor fünf Jahren. Ich habe dann natürlich einige Stunden Bedenkzeit erbeten, um das mit meinem Mann und meiner Familie zu besprechen, und habe dann sehr schnell gesagt, ich mache es. Zwei Tage später hat er mich als seine zukünftige Bildungsministerin für den Fall der Regierungsübernahme, die damals noch nicht so super wahrscheinlich war, vorgestellt.
Dann war da der 7. Mai, der Wahltag. Die CDU war mit Abstand die stärkste Partei. Wir haben zusammen die Koalitionsverhandlungen geführt und dann hat Daniel Günther sein Versprechen wahr gemacht.
Wie schätzen Sie ihre Chancen für Pinneberg derzeit ein?
Ich werde um das Vertrauen der Menschen und die Stimmen der Wählerinnen und Wähler kämpfen. Es wird natürlich davon abhängen, wie die CDU insgesamt im Land abschneidet. Wenn wir deutlich vor der SPD liegen, ist das also gut.
Der Shitstorm auf Twitter und seine Folgen
Denken Sie, dass das Ereignis auf Twitter irgendetwas in der Richtung kippen könnte?
Das glaube ich nicht. Nein. Twitter ist eine totale Blase. Und die Zufriedenheit der Menschen in Schleswig-Holstein mit der Landesregierung insgesamt, aber auch mit der Politik an den Schulen, ist ja relativ groß, gerade auch im Verhältnis zu anderen Bundesländern.
Sie äußerten, dass sie missverstanden wurden und diesen Kanal deaktiviert haben, weil es nicht das richtige Medium sei.
Ja, ich habe gesagt, wir müssen gerade in diesen hoch sensiblen Fragen, die die Menschen auch emotional so bewegen, versachlichen und mit Respekt einander begegnen. Und wenn man ein Medium dazu nutzt, um den anderen sozusagen in der denkbar bösartigsten Art und Weise misszuverstehen und Unterstellungen zu verbreiten, was schon eine sehr angestrengte sprachliche Interpretation voraussetzt, dann glaube ich, trägt es nicht zum respektvollen Umgang bei. Deshalb habe ich gesagt, da ziehe ich mich erst mal zurück.
Sie haben im Tweet die Unterscheidung betont „mit Corona“ und „an Corona“ zu sterben? Halten Sie daran fest, dass es richtig war, diesen Unterschied herauszustellen?
Was ich zum Ausdruck bringen wollte, ist, dass Kinder an Corona unter Omikron extrem selten sterben. In Schleswig-Holstein ist bisher kein einziges Kind an Corona gestorben und an Omikron schon gar nicht. Und auch die Hospitalisierungszahlen bei Kindern und Jugendlichen gehen kontinuierlich runter (Stand: 19. März). Was ich erreichen wollte, war, dass Menschen nicht noch weiter in Panik geraten, weil es für diese Panik unter Omikron keine Veranlassung gibt. Das war meine Absicht.
Respekt gegen Missverständnisse
Können Sie trotzdem nachvollziehen, warum sich manche Menschen so empört haben? Wieso gerade eine Mutter, die ein Kind mit Vorerkrankungen hat, sich in einem Kommentar so kritisch äußerte?
Ich kann mich da reindenken, dass sie besonders betroffen ist durch die Situation ihres Kindes. Was ich nicht nachvollziehen kann ist, wie man zu solchen Unterstellungen kommen kann. Das kann ich nicht verstehen, weil ich von ihr natürlich auch erwarte, dass sie sich auch in meine Schuhe stellt. Als Ministerin muss ich schwierige Abwägungsentscheidungen treffen und alle Kinder im Blick haben. Da ist gegenseitiger Respekt gefragt.
Innerhalb dieses „Shitstorms“ auf Twitter hat jemand Ihren jüdischen Glauben in Spiel gebracht? War das der Moment, wo Sie gesagt haben, ich inaktiviere den Account?
Ja, das war der Moment. Vor allem, weil er in diesem Tweet auch meine Kinder erwähnt hat. Da wurde eine Grenze überschritten. Nun wurde der Tweet ja dann irgendwann im Nachgang gelöscht und der Verfasser hat sich entschuldigt. So wie ich mich übrigens auch für den meinen entschuldigt habe, und dafür, dass ich Gefühle von Eltern mit vulnerablen Kindern verletzt habe. Aber da ist die Grenze überschritten worden.
Was ging Ihnen damals durch den Kopf?
Also ich war da schon tief getroffen. Überhaupt diese Unterstellung, ich würde in irgendeiner Weise selektiv mit Kindern umgehen. Das ist so eine monströse Behauptung. Zumal ich ja auch gerade in Schleswig-Holstein von Anfang an extrem großen Wert darauf gelegt habe, dass für jedes vulnerable Kind eine individuelle Lösung gefunden wird. Weil ich immer gesagt habe, bei allem, was wir tun, haben wir eine Verpflichtung, und zwar eine rechtliche und moralische Verpflichtung, jedem einzelnen vulnerablen Kind gerecht zu werden. Es gibt eine Handreichung dazu, wie die Schulen da vorzugehen haben und wie sie für jedes Kind auch eine Lösung finden müssen. Darauf verwenden wir sehr viel Zeit und Aufwand, auch personellen Aufwand. Aber gut, die Nerven liegen bei vielen Menschen blank und gerade bei Familien mit Kindern ist das sicherlich in besonderem Maße so.
Dafür habe ich großes Verständnis und mein Fehler war, auf den Tweet dieser betroffenen Mutter überhaupt zu reagieren.
Die nahe Zukunft
Gehen wir nochmals kurz zurück zur Kandidatur. Was möchten Sie im Wahlkreis Pinneberg erreichen?
Eine der großen Aufgaben ist das große Potenzial, was der Wahlkreis in der Metropolregion hat, das wirklich zu heben. Es ist für mich schon erschreckend, wie wenig nach wie vor interkommunale Zusammenarbeit zwischen den Schleswig-Holsteinischen Städten und Gemeinden am Hamburger Rand und Hamburg stattfindet. Das betrifft Themen wie Wohnungsbau, Verkehrsplanung, Schulen und Kultur, es betrifft ganz stark den Bereich Kooperation in der Wissenschaft und Forschung. Und es wird auch darum gehen, jetzt insbesondere Unternehmen im Wahlkreis anzusiedeln, über die der Technologietransfer dann stattfinden kann. Das Thema Schulbau ist eine riesengroße Aufgabe für die Schulträger und da werden wir als Land weiter unterstützen müssen damit einerseits der Sanierungsstau angegangen wird, aber auch der Ausbau durch die zuständigen Kommunen erfolgen kann.
Die Digitalisierung der Schulen spielt weiterhin eine große Rolle. Und dann ist natürlich das Thema Mobilität in der Metropolregion. Da ist ganz viel zu tun. Das gilt für alle Verkehrsarten. Bus, Bahn, Auto oder Fahrrad dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden. Aber insgesamt ist es eben eine Region, die unglaublich viel Potenzial hat. Und es ist noch nicht so gehoben, wie man es machen müsste.
Wir danken Ihnen für das Gespräch.