Theater… Man nimmt es sich immer wieder vor, verschiebt es zweimal – dann klappt es endlich und hinterher sind sich alle einig: Das war toll! Die Unmittelbarkeit der Theaterbühne kann das Kino um Längen schlagen, auch – oder gerade – wenn der Besucher eher selten den Weg ins Thalia findet, ins Schauspielhaus oder in eines der mittlerweile zahlreichen Privattheater der Stadt.
Im Folgenden ein Streifzug durch die Programme im Oktober, ohne Anspruch auf Vollständigkeit.
„Die Wildente oder Der Kampf um die Wahrheit“
1884 feierte „Die Wildente“ von Henrik Ibsen in Bergen Premiere und avancierte bis heute zu einem der bekanntesten Stücke skandinavischer Dramatik.
Der Wahrheitsfanatiker Gregers Werle kehrt nach Jahren harter Arbeit in der väterliche Fabrik nach Hause zurück. Dort trifft er auch auf seinen Jugendfreund Hjalmar Ekdal. Der erscheint Werle verlogen und intrigant. Werle will dem Freund die Augen öffnen, übertreibt es dabei jedoch maßlos. Am Ende zerstört er eine Familie durch Eigensinn und Überzeugung.
Regisseur Thorleifur Örn Arnarsson hat die Handlung nun in die Gegenwart verlegt. Ein Wissenschaftler kehrt in seine Heimatstadt zurück.
Seine Forschungen haben ergeben, dass das Wasser des dortigen Kurbades verseucht ist. Auch in der Familie seines Freundes drängt er darauf, ein Geheimnis aufzudecken.
Doch wer stellt sich schon freiwillig unbequemen Wahrheiten, die das eigene Leben verändern?
In den Wochen nach der Bundestagswahl dürfte die Suche nach gesellschaftlicher Wahrheit ein passender Bühnenstoff sein!
Premiere am 9. November,
Thalia Theater
www.thalia-theater.de
„Herkunft“
2019 erhielt er den deutschen Buchpreis und zwei Jahre später ist Saša Stanišićs Roman „Herkunft“ auf der Bühne angekommen.
Das Stück baut auf dem Lebenslauf auf, den der Hauptdarsteller Saša für die deutsche Ausländerbehörde schreibt. Der weckt viele Erinnerungen, fordert Kreativtität und Strategien. Sašas Dialog mit seiner Oma ist der rote Faden durch die Handlung, die bei dem vielschichtigen Roman auch dringend nötig ist.
Die Kritiker waren sich nach der Premiere uneins: Enthusiastisches Lob über die stimmungsvolle Inszenierung, aber auch Kritik an der Besetzung (Enkel und Oma sind gleichaltrig) und aufkommender Langeweile.
Thalia in der Gaußstraße.
Achtung, es gibt nur noch Restkarten an der Abendkasse.
www.thalia-theater.de
„Der Geheimagent“
Spannung von Literaturlegende Joseph Conrad! 1907 schrieb der polnisch-englische Autor einen klassischen Spionageroman, angesiedelt im Londoner Stadtviertel Soho. Hier geht es um einen geplanten Bombenanschlag auf das Observatorium von Greenwich.
Regisseur Frank Castorf hat das Stück adaptiert und in die Gegenwart verlegt. Ein internationales Gipfeltreffen führender Politiker soll stattfinden. Die Geheimdienste kämpfen gegen terroristische Angriffe überall in Europa, aber sie bekämpfen sich auch untereinander: So erscheint die englische Gesetzgebung einem ausländischen Geheimdienst viel zu liberal.
Was tun? Man beauftragt einen Agent Provocateur damit, ein Bombenattentat in London durchzuführen. Im Schock werden die Briten ihre Gesetze verschärfen, so das Kalkül.
Premiere am 12. November,
Schauspielhaus
www.schauspielhaus.de
„Der Liebestrank“
Kein Theaterstück, sondern eine reinrassige Oper ist dieses Stück von Gaetano Donizetti. Es kommt jedoch ohne Königsmord daher, ohne Wallküre, ohne tierischen Ernst.
Die Geschichte um den einfachen Bauernjungen Nemorino gehört zur Opera buffa, zur komischen Oper, und in der Tat reizt sie eher zum Lachen als zu tief empfundenem Weltschmerz.
In der Version des Stückes, die derzeit im Allee Theater aufgeführt wird, ist Nemorino ein Bademeister am adriatischen Strand von Roseto. Die reiche und selbstbewusste Badegästin Adina ist für ihn unerreichbar. Als der umherreisende Strandverkäufer Dulcamara jedoch einen Liebestrank anpreist, sieht Nemorino seine Stunde gekommen: Nicht ahnend, dass Dulcamara ihn betrogen hat und der Liebestrank nichts als eine kleine Flasche Himbeersaft ist, vertraut Nemorino darauf, endlich das Herz Adinas gewinnen zu können.
Doch nun überschlagen sich die Ereignisse: Adina nimmt überraschend den Heiratsantrag des draufgängerischen, flotten Marineoffiziers Belcore an und will ihn noch am selben Tag heiraten. Der Liebestrank soll jedoch erst einen Tag nach der Einnahme wirken – wenn Dulcamara das Weite gesucht hat. In seiner Verzweiflung lässt sich Nemorino als Marinesoldat anwerben, um an das Geld für einen Liebestrank zu kommen, der sofort wirkt.
Wird Nemorino einen Weg finden, das Herz von Adina zu gewinnen?
Allee Theater/Kammeroper,
Aufführungen bis zum 17. Oktober
www.kammeroper.alleetheater.de
„Sechs Tanzstunden in sechs Wochen“
Wenn ungleiche Temperatmente aufeinandertreffen, dann kann es krachen. In der Realität ist das eher unerfreulich, auf der Bühne hingegen äußerst unterhaltsam.
Das Stück von Richard Alfieri wurde in mehr als 14 Sprachen übersetzt und gilt als weltweiter Erfolg – und das ist letztlich das Verdienst von Lily Harrison und Michael Minetti. Sie ist die wohlhabende Witwe eines Predigers und lebt vereinsamt in Florida. Er ist ein verkappt schwuler und äußerst mimosenhafter Tanzlehrer. Sie bucht bei ihm Stunden und dann nimmt die Kömödie ihren Lauf. Beide gehen lässig mit der Wahrheit um, beide merken jedoch auch, dass sie ihr Gegenüber immer mehr brauchen. Getragen vom Rhythmus des Swing, Tango, Wiener Walzer, Foxtrott,
Cha-Cha-Cha und Twist entwickelt sich, für beide unerwartet und fast gegen ihren Willen, langsam so etwas wie Vertrauen. Aus dem Tanzlehrer wird ein Tanzpartner.
Premiere am 7. Oktober,
Ernst Deutsch Theater
www.ernst-deutsch-theater.de
„Was wir alleine nicht schaffen … Oder wie wir versuchten, die Welt zu verändern – Teil II.“
Ein Stück für Experimentierfreudige! Hier fällt es schon schwer auch nur die Programmankündigung ansatzweise zu verstehen. Aber auch das gehört zum Theater: Ins Unbekannte vorzudringen.
Eine Trilogie und die „Besser.Cooler.Anders.Band“, die nicht weniger will, als die Welt zu verändern. Sie geht davon aus, dass die Welt, wie wir sie kennen, „mit Shoppingmals, Internet, Frühjahrs-, Sommer-, Herbst- und Winterkollektion, Massentierhaltung, Tiefkühlpizza, SUV, Flugreisen, Netflix-Serien, Handys, Computern, Druckern, Scannern, Kreuzfahrten, Snapchat, TicToc, Insta, Fitnessstudios, Amazon und Themenparks“ eine Figur ist, die denkt, die eine Stimme hat …
Diese Welt muss nun also verändert werden und die Zuschauer können nachsehen, ob das in Teil II klappt.
Lichthof Theater
www.lichthof-theater.de
Die Maske
Hierbei handelt es sich (leider) nicht um ein Stück, sondern um eine Regularie. Während die Hamburger in den Kiez-Kneipen wieder dicht an dicht schwoofen oder eng gestapelt im Ferien-Flieger sitzen, gelten für die Theater extrastrenge Regeln. Die Maske muss trotz Abstand auch am Platz getragen werden.
Warum? Ein plausibler Grund war auch nach umfangreichen Recherchen nicht zu finden. Es muss also vermutet werden, dass die Verantwortlichen in der Politik den gehobenen Kulturbetrieb schlicht nicht auf der Karte ihrer Verantwortung gefunden haben.
Die Leidtragenden sind die Häuser selbst und natürlich auch die Besucher. Rationale Geister hoffen hier auf Änderung, die aber bis Redaktionsschluss auf sich warten ließ.