Der Wahlkampf für die Europa- und die Bezirkswahlen läuft in Hamburg auf Hochtouren. Dass sich der Ton verschärft hat, ist nichts Neues mehr. Meist, so sagt etwa Antje Müller von der CDU-Altona/Elbvororte, bleibt es bei grenzwertigen Kommentaren am Infostand. „Davon steckt man drei, vier am Stück weg. Beim nächsten Mal muss man durchatmen. Die fehlende Wertschätzung und der respektolose Ton setzen immer mehr zu.“
Doch etwas ist schon neu, zumindest in dieser Härte und Häufigkeit: Gewalt gegen Politikerinnen und Politiker. Traurige Berühmtheit erfuhr jüngst das Beispiel des SPD-Politikers Matthias Ecke – sächsischer Spitzenkandidat für die Europawahl. Er wurde Anfang Mai von vier Jugendlichen schwer verletzt, als er Wahlplakate anbrachte. Es blieb nicht der einzige Vorfall dieser Art, auch nicht in Hamburg.
Die Parteien können auf kein schützendes Gesetz warten
Besonders betroffen von den Angriffen sind Lokalpolitikerinnen und -Politiker. Sie genießen zudem nicht den Vorteil eines professionellen Personenschutzes. Ausnahme ist hier die AfD-Hamburg, die vermehrt auf Sicherheitsdienstleister zurückgreife, so der AfD-Landesvorsitzende Dirk Nockemann. Die Angriffe auf Matthias Ecke haben erste Folgen: Ein Gesetz soll zukünftig die Privatadressen von Politikerinnen und Politikern leichter schützen lassen. Für den aktuellen Wahlkampf ist damit wenig gewonnen, vor allem als verwaiste Einzelmaßnahme. Die Parteien müssen jetzt handeln.
„So wurde ich noch nie angegangen …“
Anke Frieling, Bürgerschaftsabgeordnete der CDU, teilt mit, dass man mittlerweile beim Plakatieren oder bei Aktionen niemals allein unterwegs ist. So ist es auch bei den anderen Parteien. Linda Heitmann (MdB, Grüne-Altona) fügt hinzu, man sensibilisiere die Ehrenamtlichen, auf unangenehme Situationen zu achten. Man wolle zudem frühzeitig deeskalieren. Warum so ein Vorgehen überhaupt nötig ist, belegt sie mit einem privaten Erlebnis: „Ich wurde vor circa vier Wochen von einer Person, die mich in der S-Bahn in Blankenese erkannt hat, lautstark verbal angegriffen und bedroht. In der Form ist mir das vorher noch nie passiert, wenn ich privat unterwegs war.“
Hinterhältiger Angriff auf Ehrenamtliche im Wahlkampf
Es bleibt nicht bei verbaler Gewalt und Situationen, die man überhaupt beruhigen könnte. So ging vor einigen Wochen bei der CDU-Hamburg die Warnung ein, dass man Wahlplakate mit Rasierklingen präpariert habe. Zu spät kam die Warnung für den Hamburger SPD-Kandidaten Olcay Aydik. Mitte Mai wollte er ein abgenommenes Wahlplakat wieder anbringen und zog sich durch eine Rasierklinge, die im Rand des Plakats steckte, am Handrücken und am Mittelfinger Schnittverletzungen zu. Der Staatsschutz ermittelt wegen des Verdachts der gefährlichen Körperverletzung. Vertreter der CDU-Hamburg sprechen von einer neuen Stufe der Gewalt.
Ziel und Art der Attacken ändern sich
Und die verteilt sich keineswegs gleich, weder nach Stadtteil, noch nach betroffener Partei. Bislang fällt mehr die Härte als die Zahl der Delikte ins Auge. Denn nach Zahlen ist das Jahr 2024 in Hamburg noch vergleichsweise ruhig. Die Polizei zählte bis zum 6. Mai 15 Straftaten gegen Politikerinnen und Politiker, meist Sachbeschädigung, Bedrohung und Beleidigung. Im Jahr 2021 waren es insgesamt 113 solcher Straftaten.
Auch das Ziel hat sich verschoben. Waren 2021 vor allem CDU (37), SPD (31) und AfD (25) Ziel von Attacken, galten die Angriffe 2023 vermehrt den Grünen (30). Die AfD war im vergangenen Jahr acht erfassten Straftaten ausgesetzt. Die Partei meldet zwei Angriffe in diesem Mai an ihren Infoständen in Harburg und Billstedt. Ein Mitglied der Partei berichtet dem Klönschnack von einem tätlichen Angriff beim Anbringen von Wahlplakaten.
„Diese Vorfälle stellen nicht nur Angriffe auf unsere ehrenamtlichen Mitglieder in Altona dar, sondern auch auf die gesamte Bevölkerung. Sie berauben die Menschen der Möglichkeit, sich vor den Wahlen unbeeinflusst über die Angebote der Parteien zu informieren.“
Sören Platten (SPD)
Sören Platten, Spitzenkandidat der SPD Altona nennt ebenfalls Beispiele: „Unsere Wahlkämpferinnen und Wahlkämpfer wurden wiederholt Opfer von Beleidigungen, und die SPD war Ziel von Sachbeschädigungen, sowohl in unserem Altonaer Büro als auch durch die Zerstörung und Entwendung zahlreicher Plakate.“ Letzteres sowie Hetze im Netz nehmen laut Polizei deutlich zu.
Statistische Zahlen
Die in diesem Artikel genannten Vorfälle sind eine Auswahl aus vielen weiteren Vorkommnissen, auch außerhalb des Wahlkampfes. Die Zahl der 15 Straftaten bezieht sich auf politische Vertreter aller Ebenen, nicht nur die der Lokalpolitik. Da es sich um eine mittjährige Statistik handelt, kann sich die Zahl durch Nachmeldungen erhöhen.