Frau Wild …
… sag ruhig Erika zu mir.
Sehr gerne. Erika, wie war es, als Tochter eines Künstlers aufzuwachsen?
Ungewöhnlich. Ich wollte in einem Arbeiterhaushalt großwerden. Die fand ich viel interessanter. Die hatten eine Wachstuchdecke. Die kam bei uns nicht ins Haus. Die hatten Aluminiumgabeln und Messer. Auch die kamen bei uns nicht ins Haus. Wir hatten nur Silber. Bei anderen Kindern kam der Vater abends von der Arbeit. Ich hatte immer das Gefühl, Otto hat nicht gearbeitet. Er stand ja „nur an der Staffelei“.
Hast Du ihn oft bei der Arbeit beobachtet?
Ich habe ihn immer begleitet an der Staffelei. Ich musste die linke Hand nehmen, mit der rechten führt er den Pinsel. Die Staffelei selbst war für mich verboten. Die Farben sowieso und verbotene Früchte schmecken: Eines morgens bin ich sehr früh wach geworden. Meine Eltern schliefen noch. Da habe ich mir einen Stuhl genommen, auf der Palette mit dem Finger die Farben gemischt und dann fleißig rum gemalt. Das war so schön. Der Krach hinterher, der war nicht so schön. Denn Otto musste die ganze Palette reinigen und die Farben neu anlegen. Es gab ein Höllentheater und Margarete hat mich in Terpentin gebadet, um mich wieder sauber zu kriegen.
Ein persönlicher Blick auf Erika Wild
Blieb es dabei, oder gabst Du der Kunst eine zweite Chance?
Erst nach dem Tod meines Vaters. Denn Otto war leider ein schlechter Pädagoge. Es gab immer Kritik. Warum sollte ich dann noch malen? Ich konnte es ja scheinbar nicht. Nach Ottos Tod habe ich ganz vorsichtig angefangen mit Kreiden zu malen. Die Bilder habe ich versteckt, damit sie keiner sieht.
Diese Bilder würde ich gerne sehen. Wie malst Du?
Ganz anders als mein Vater. Meine Bilder sind alle abstrakt. Mich reizen graphische Linien in jeder Beziehung. Auch bei Kleidung oder Geschirr. Ich mag keine Schnörkelei. Es muss grade sein, schlicht, nichts dran. Das ist mir das Liebste und genauso kommt es zum Ausdruck in meinen Bildern. Heute hängen sie an den Wänden und wer sie nicht leiden mag, braucht nicht hinschauen. Die Kritik von früher habe ich überwunden.
„… Davon bin ich nie losgekommen.“
Haben Dir die Bilder deines Vaters gefallen?
Ja. Es waren die Motive, der Hafen. Davon bin ich nie losgekommen.
Dein Vater gilt als Freilichtmaler.
Das ist so nicht ganz richtig. Er malte draußen, als er noch gesund war. Später malte er nur noch aus dem Gedächtnis.
Was war Deinem Vater besonders wichtig in seinen Werken?
Vor allem das, was er malte. Zu Beginn war es die Heide, besonders Worpswede. Dort gab es eine Künstlerkolonie, die ihn stark beeinflusste.
Mit den Heidebildern kam noch nicht der große Erfolg, oder?
Nein. Der kam erst später mit den Hamburger Hafenbildern. Ein befreundeter Kunsthändler brachte ihn auf die Idee.

„Otto ging es ums Mahlen und darum, dass wir satt wurden.“
Wie ging es weiter?
Otto hat sehr viel verdient und ist bettelarm gestorben. Wenn er meine Mutter nicht gehabt hätte, wäre nichts geblieben. Sagte jemand, oh Otto, das Bild gefällt mir, sagte er, ich schenke es dir. Auch Preise konnte er nicht machen. Beim Kunsthändler nahm er 50 Mark für ein Bild. Ich war zu jung, sonst hätte ich gesagt, das kommt nicht infrage. Otto ging es nur ums Malen und darum, dass wir satt wurden.
Als er dieses viele Geld verdiente, habe ich noch nicht gelebt. Später bekam er einen Schlaganfall und dann auch noch Magen- und Darmkrebs. Gott sei Dank hat Margarete, meine Mutter, vorher angefangen zu arbeiten. So war Otto wenigstens krankenversichert. Margarete sagte immer, lass doch wenigstens das Kind versichern. Er meinte nur, das brauche er ich nicht. Er werde 107 Jahre alt und immer besser malen.
Hat er sich die Welt schöngemalt oder hat er sie wirklich so gesehen?
Die Bilder Deines Vaters wirken ganz anders als das, was ich eben gehört habe. Sie sind positiv. Hat sich Dein Vater das Leben schön gemalt oder hat er die Welt wirklich so gesehen?
Ich glaube, er hat die Welt wirklich so gesehen. Otto war ein fröhlicher Mensch. Ich bin in Armut groß geworden, aber ich habe das nie gefühlt. Und ich bin in unglaublicher Freiheit groß geworden, dank meiner Eltern.
Hast Du Deinen Vater geliebt?
Ja, das tat ich. Ich habe ihn sehr geliebt.
Er besuchte die Gestapo im Bademantel
Otto Wild soll den Nazis die Stirn geboten haben.
Es gibt da so eine Geschichte, an die ich immer wieder denken muss: 1943, nach der Operation Gomorrha, lagen alle Motive, die Otto gemalt hatte, in Schutt und Asche. Er ging rum und malte die Stadt, wie sie nun war. Dabei wurde er beobachtet. Die Gestapo lud Otto vor. Auch meine Mutter haben sie vorgeladen.
Hielt man Deinen Vater für einen Spion?
Vielleicht. Zumindest aber war Otto auffällig und „sperrig“.
Inwiefern?
Als er bei der Gestapo antreten sollte, kam er im Bademantel und mit Pinsel. Gott sei Dank hatte er einen sehr verständnisvollen Vorgesetzten bei seiner anderen Arbeit. Der hat ihn immer von einem Ort zum andern geschickt, damit er nicht gefunden werden konnte.
War Dein Vater hier mutig, trotzig oder ahnungslos?
Otto erkannt die Gefahr einfach nicht. Auf der anderen Seite hat er im Krieg eine Jüdin bei sich aufgenommen. Anne Gottberg. Er hat sie so lange versteckt, bis sie ins Ausland gehen konnte. In der Zeit nahm er meiner Mutter den Schlüssel für sein Atelier ab. Er tat es, um Anne zu beschützen, verriet meiner Mutter aber nichts. Sie dachte, er würde ihr nicht mehr vertrauen. Aber das tat Otto. Als Anne Gottberg in Sicherheit war, hat er Margarete alles erklärt und sagte: „Ich wollte nicht, dass du davon weißt und verhört wirst. Hier hast du den Schlüssel zurück.“
„Ich habe ihn auf dem Bild an seiner blauen Lodenjacke erkannt.“
Hast Du ein Lieblingsbild in der Ausstellung die im Juli in Blankenese beginnt?
Ja, es heißt „Der grüne Kran“. Dort steht er im Hafen und schaut auf eben diesen grünen Kran. Ich habe ihn auf dem Bild an seiner blauen Lodenjacke erkannt. (Sagt sie gerührt.)
Warum ausgerechnet dieses Bild?
Es ist wieder diese besondere Stimmung, die mein Vater eingefangen hat und die mir so gut gefällt.
Du erwähntest die Jacke Deines Vaters. Eine Anspielung, die nur Du erkennen kannst …
… Es ist schon so, dass es Dinge in den Bildern gibt, die nur ich sehen, die nur ich wissen kann. So gesehen, geben mir die Bilder sicher mehr als anderen.
Das Werk Deines Vaters ist eine Wiederentdeckung. Was gibt es dort noch zu finden, auch abseits der Hafenbilder?
Ich habe zum Beispiel einen Christus in Öl. Dieses Bild schenkte Otto meinem Bruder. Christus hat auf diesem Bild ganz schön viel Ähnlichkeiten mit Otto. (lacht) Es ist auch in der Ausstellung. Außerdem sind dort noch Heidebilder meines Vaters. Und es gibt noch einige Zeichnungen und Portraits, die sehr sehenswert sind.
Eines muss man deutlich sagen: Die Bilder, die man im Internet sieht, sind die Brot- und Butterbilder meines Vaters. Das hat nichts mit der hohen Qualität zu tun, die man in der Ausstellung sieht.
Ich danke Dir für dieses offene Gespräch.
Zur Ausstellung „Otto Wild. Hafenbilder aus Hamburg“
Mit einer feierlichen Vernissage eröffnet die Ausstellung „Otto Wild. Hafenbilder aus Hamburg“ in der Evangelischen Gemeindehaus Blankenese.
Der Abend beginnt mit einer Einführung von Carlfried Osenegg, der als Sammler und Zeitzeuge den Maler Otto Wild (1898–1971) persönlich kannte. Musikalisch begleitet wird die Veranstaltung von Hauke Ströh am Klavier.
Otto Wild kam in den 1920er Jahren nach Hamburg und fand in der Freilichtmalerei der Haager Schule Inspiration für seinen eigenen impressionistischen Stil. In zahlreichen Gemälden hielt er die markanten Orte der Hansestadt fest – von der Alster über das Nikolaifleet bis zur Kehrwiederspitze. Seine Werke, einst in renommierten Galerien wie der Galerie Commeter ausgestellt, gerieten nach dem Zweiten Weltkrieg und einer schweren Erkrankung zunehmend in Vergessenheit.
Carlfried Osenegg, in Hamburg geboren und seit 1962 in der Schweiz lebend, entdeckte in den 1990er Jahren frühe Hamburg-Bilder Wilds im Nachlass seines Vaters – und damit auch seine Leidenschaft, den Künstler wieder ins öffentliche Bewusstsein zu bringen. Zum 125. Geburtstag des Malers (2023) suchte er den Kontakt zu anderen Privatsammlern. Die Ausstellung präsentiert nun eine Auswahl von rund 30 Werken aus fünf verschiedenen Sammlungen.
Die Ausstellung ist bis zum 19. August in der Kirche und im Gemeindehaus Blankenese zu sehen.
Vernissage: Mi., 16. Juli, 19 Uhr, Evangelische Gemeindeakademie Blankenese, Mühlenberger Weg 64, Blankenese