27. September 2021
Magazin-Tipp

Mobilitätswende Hamburg: Es geht nicht nur um Radwege

Dr. Anjes Tjarks (Grüne) ist Senator für Verkehr und Mobilitätswende in Hamburg. Er will den Verkehr in Hamburg grundlegend reformieren, wofür er stark kritisiert wurde. Im Interview verrät er, warum Umdenken bei Mobilität für Hamburg alternativlos ist.

Dr. Anjes Tjarks ist in seinem Element. Er erledigt fast alle Wege per Rad | Foto: Senatskanzlei Hamburg

Herr Tjarks, im Zusammenhang mit Ihrem Amt für Verkehr und Mobilitätswende wird ja oft davon gesprochen, dass Sie Hamburg zur Fahrradstadt umbauen wollen. Da schwingt für viele ein bisschen die Angst mit, dass Sie das Auto verbieten werden. Wollen Sie das Auto denn verbieten?

Nein. Wir planen weiterhin ein Szenario mit Autoverkehr, natürlich nach Möglichkeit mit emissionsfreien Autos. Vor dem Hintergrund ist diese Sorge grundlos. Ich kann sagen, dass wir im vergangenen Jahr auch  viele Meter Straße saniert haben sowie auch andere Teile der öffentlichen Infrastruktur – eben nicht nur Radwege, sondern auch Straßen, weil es natürlich auch darum geht, die öffentliche Infrastruktur tatsächlich zu erhalten.

 

Wie viel Autoverkehr wäre gesund für diese Stadt?

Das kann man nicht in einem einzigen Maßstab abbilden. Der Senat hat das Ziel gesetzt, dass nur 20 Prozent aller Wege mit dem Auto zurückgelegt werden sollen. Aktuell sind es 36 Prozent. Das heißt, wir wollen den Anteil von Bus, Bahn, Fuß und Fahrrad von 64 auf 80 Prozent steigern. Das muss natürlich in Einklang gebracht werden mit den Klimazielen.

 

Geht es um Verbote?

Frau Blumenthal sagte in diesem Zusammenhang, dass viele ein wenig Angst vor dem Klimaschutz haben, weil sie befürchten, dass ihnen dadurch viel verboten wird. Aber sie sagte auch, dass die Grünen eigentlich gar nichts verbieten wollen.

Wenn wir alle ehrlich zu uns sind, hat Mobilität, auch bei mir, viel mit Routinen zu tun. Sie haben jeden Tag ähnliche Wege, sie haben jeden Tag ähnliche Verkehrsmittel und vor diesem Hintergrund geht es schon darum, dass wir auch wollen, dass sich diese Routinen verändern. Aber es geht eben auch darum, Menschen für eine Verkehrs- und Mobilitätswende zu begeistern. Das schafft man, indem man beispielsweise Radwege baut, auf denen sich Leute tatsächlich wohlfühlen, indem man mehr Busse fahren lässt, um einen besseren Takt zu haben, indem man digitale Innovationen zulässt, wie wir es jetzt beim ITS-Weltkongress im Oktober präsentieren werden.

Und deswegen geht es darum, diesen Weg, mit Begeisterung zu gehen und dann, glaube ich, kann man auch die Routinen entsprechend umstellen.  (den wir aus Klimaschutzgründen, aber eben auch um der Mobilität selbst willen gehen sollten, weil wir zu viel Autos auf der Infrastruktur haben, die wir haben, um wirklich. Gut mobil sein zu können, geht es darum, diesen Weg eben auch)

 

Das Thema Mobilität weckt viele Emotionen

Sie sagten es bereits: Viele Menschen haben bestimmte Mobilitäts-Routinen und fürchten, dass sie in der Mobilität eingeschränkt werden und an Freiheit verlieren. Es scheinen viele Emotionen mitzuschwingen bei ihrem Ressort Verkehr.

Ja, total. Ich bin auch nicht glücklich, wenn ich im Stau stehe. Also da gehen viele Emotionen einher, aber es ist umgekehrt oft so, dass sich die Routine auch verändert. Wir haben letztes Jahr 33 Prozent Zunahme im Radverkehr. Das ist ein wirklich großer großer Sprung gewesen. Da sieht man auch, dass  Veränderungen in der Mobilität durchaus möglich sind. Und erleben jetzt durch die Pandemie etwas, das bisher so noch nicht betrachtet worden ist. Wir haben das Phänomen der Verkehrs-Vermeidung: Dadurch, dass Sie zum Beispiel jetzt nicht bei mir zu Gast im Büro sind, sondern wir uns treffen, haben wir mindestens zwei Wege gespart. Diese Verkehrs-Vermeidung, die hilft uns allen. Sie spart Emissionen, sie spart Infrastrukturkosten, die dadurch geschont wird.

 

Die Behörde für Verkehr und Mobilitätswende gibt es erst seit rund 14 Monaten. Das ist gar nicht so viel Zeit. Würden Sie uns kurz auf den aktuellen Stand bringen, was Sie in dieser Zeit erreicht haben und was noch nicht?

Wir haben erste Popup-Bikelanes gebaut, wir haben angefangen auch die Radwege-Planung in Hamburg generell umzustellen, nämlich weg von den Strichen auf der Straße hin zu mehr Protektion (Schutz). Das entsteht beispielsweise gerade an den Esplanade oder dem Dammtor Damm. Wir haben das größte Angebot an ÖPNV, das jemals in Hamburg gefahren ist – obwohl der ÖPNV von der Corona Krise sehr stark betroffen ist. Über 200 neue ÖPNV-Wege wurden etabliert. In der Innenstadt, am Jungfernstieg und in der Mönckebergstraße wurden ersten Projekte der lebendigen und autoarmen Innenstadt umgesetzt. Wir haben 62 Kilometer Fahrradwege saniert – ebenso eine Rekordzahl an Straßen saniert. Das Azubi Ticket für 30 Euro wurde eingeführt. Wir haben die Bewohner Park Gebiete ausgebaut und wir haben mit dem Bau der S4 begonnenn. Nicht schlecht für 14 Monate, oder?

 

Was hat es mit der Mobilitätswende auf sich?

Sie sind nicht nur Senator für das Ressort Verkehr, sondern auch für die Mobilitätswende. Aber das ist ein recht abstrakter Begriff. Was verstehen Sie unter Mobilitätswende?

Ich verstehe darunter die Schaffung neuer Angebote von Bus, Bahn, Fahrrad und den Ausbau der digitalen Mobilität, um diese nachhaltig zu nutzen und im Grundsatz eben den Verkehr in Hamburg umzusteuern, von einer sehr autogerechten Verkehrsplanung hin zu einer Verkehrsplanung der Mobilitätswende.

 

Warum ist die Mobilitätswende so wichtig für uns?

Aus zwei Gründen. Der erste ist, damit Hamburg mobil bleibt. Ich möchte das einmal erklären. Es gibt zwei große Studien zu Mobilität in Deutschland aus 2008 und 2018. In diesem Zeitraum ist in Hamburg die Mobilität, also die Zahl der in Hamburg zurückgelegten Wege jeden Tag, von 50 auf 70 Millionen gestiegen. Das heißt, wir haben eine Verkehrszunahme von 40 Prozent quer über alle Verkehrsträger, nicht nur Auto, sondern auch Fahrrad, Bus, Bahn und zu Fuß, weil wir mehr Menschen in der Stadt haben.

Die Leute beklagen sich, dass sie im Stau stehen, aber der Grund, warum wir mehr Verkehr haben, ist, weil wir mehr Menschen geworden sind und weil jeder einzelne mobiler ist. Hamburg wird weiter wachsen. Und deswegen ist die erste Aussage: Wenn wir mobiler werden wollen oder so mobil bleiben wollen wir jetzt sind, muss der Einzelne weniger Platz einnehmen. Das ist eine zwingende Voraussetzung und das ist die Mobilitätswende.

Und das zweite Thema ist: Wir haben ein großes, weltumspannendes Klimathema. Alle sehen, was passiert in Südeuropa. Alle sehen, was passiert bei den Ereignissen in Deutschland. Wir müssen die Klimaziele erreichen. Und die Klimaziele sind da sehr eindeutig. Sie sagen nämlich, wir müssen mit weniger Autos und vor allen Dingen mit noch viel weniger Verbrennungsmotoren dieselbe Mobilität erzeugen.

Abgesehen davon beschäftigt sich die Mobilitätswende auch noch damit, dass die Stadt noch schöner wird, dass es mehr Freiheit für Kinder und Jugendliche gibt, die zum Beispiel nicht Autofahren können, aber vielleicht mehr mit dem öffentlichen Raum anfangen können. Oder dass wir beispielsweise weniger Luftverschmutzung haben. Es gibt im Prinzip fast nur Vorteile.

 

Die Mobilitätswende braucht Platz. Doch woher nehmen?

Ich möchte gerne auf das Thema Platz zurückkommen. Platz ist ja eine endliche Ressource. Wir sehen es bei der Elbchaussee besonders stark und wir sehen dort auch, dass wir eigentlich nur eine valide Umgehungsstrecke haben, die B 431. Aber auch die ist jetzt stark frequentiert durch den Umbau der A7. Holen Sie den Städtebau in Zukunft mehr ins Boot, um Umgehungsstrecken zu bauen und um mehr Raum zu schaffen? Oder geht es mehr darum, Verkehr zu reduzieren, etwa durch einen anderen Verkehrs-Mix?

Wir sind da in enger Abstimmung mit dem Ressort von Senatorin Stapelfeldt. Aber Sie haben Recht: Verkehr kommt nicht aus dem Nirgendwo, sondern Verkehr wird erzeugt von Menschen, und zwar jede Form von Verkehr und deswegen müssen die Verkehrswege da sein, wo die Menschen wohnen und umgekehrt. Und in diesem Zusammenhang möchte ich einmal mit einem Mythos aufräumen.

Auch die Mobilitätswende braucht Platz. Bei der Elbchaussee und dem Bauabschnitt den wir gerade bearbeiten, können wir keine andere Art Wege herstellen, weil es dort keinen Platz gibt. Deswegen haben wir keinen Platz zu verschenken. Wir müssen insgesamt sehen, wie wir dies mit dem Städtebau zusammenkriegen. Ein Beispiel wäre, den Städtebau so zu entwickeln, dass wir Verkehr vermeiden. Nehmen wir mal Blankenese. Dort müsste es mehr Funktionen des täglichen Lebens geben, die es den Menschen erlauben, in Blankenese mehr Dinge einzukaufen und deswegen Wege in die Stadt vermeiden.

 

Verkehr und Klimaschutz

Der zweite Punkt, den Sie angesprochen haben, ist der Aspekt Klimaschutz und da würde ich ganz gerne auf die Elektromobilität zu sprechen kommen. Welchen Stellenwert hat das Elektroauto bei der Mobilitätswende?

Es ist völlig klar, dass wir ohne  verbrennungsfreie Autos die Klimaziele im Verkehr nicht erreichen werden. Und deswegen haben verbrennungsfreie Autos, und hier sicherlich die Elektromobilität, eine ganz zentrale Rolle. Ich möchte aber auch sagen, nur alleine die Förderung der Elektromobilität reicht nicht aus. Es muss sich auch weniger Verkehr auf der Straße bewegen. Das gilt zumindest für die Mobilitätswende in Hamburg.

 

Gibt es bereits messbare Ergebnisse bei der Elektromobilität?

Wir stehen am Anfang einer Entwicklung. Aber die Entwicklung ist sehr klar zu erkennen. Wir haben auf jeden Fall schon mehr Ladevorgänge als vor Corona, weil es eben deutlich mehr Elektroautos gibt. Und wir sehen auch, dass die Zulassungszahlen sehr stark in dem Bereich steigen.

 

Kommen wir zum ÖPNV. Die Menschen aus den Randgebieten wollen einfach und bezahlbar in die Innenstadt kommen. Wird zukünftig mehr öffentlicher Personennahverkehr gefördert, auch auf Strecken, die wenig frequentiert werden?

Ich wäre ehrlicher Weise froh, wenn in Richtung Umland und in Richtung Bahn-Anbindung überhaupt Strecken gefördert werden. Wir bauen jetzt mit großem Aufwand die S4, was ein wirklich großes Projekt ist. Aber wir haben natürlich an verschiedenen Stellen große Herausforderung. Die S-Bahn nach Harburg muss deutlich besser werden. Wir reden in Schleswig-Holstein über ein drittes und viertes Gleis zwischen Pinneberg und Elmshorn, was maßgeblich zu einer Kapazitässteigerung auf diesem wichtigen Ast beitragen wird. Jede Strecke, die nach Hamburg führt, braucht einen viergleisigen Zulauf. Und selbst in der Stadt müssen wir mehr Kapazi­täten schaffen, weil unser Hauptbahnhof zu klein ist. Wir dürfen aber bei allen Neubau­aktivitäten auch die Bestandsstrecken nicht vergessen und die auch deutlich stärken und ausbauen.

 

Hamburg braucht einen größeren Hauptbahnhof

Sie sagten, der Hauptbahnhof sei eigentlich zu klein für die Kapazität, die er liefern muss. Der Bahnhof Diebsteich soll den Hauptbahnhof ein bisschen entlasten. Denken Sie, das wird gelingen?

Man braucht beides, man braucht einen leis­tungsfähigen Bahnhof Diebsteich und man braucht einen größeren Hauptbahnhof. Wir gehen davon aus, dass in 20 Jahren der Hauptbahnhof nicht 500.000, sondern 750.000 Passagiere täglich abfertigen wird.

Und das zeigt einfach, dass wir diesen Haupt­bahnhof größer ma­chen müssen, sowohl was die Gleisfunktiona­lität, als auch was die Personenströme an­geht. Da ist das Stich­wort städtebaulicher Wettbewerb, also dass der Hauptbahnhof in sich größer werden muss.

 

Was Hamburg in Verkehrsfragen braucht

Also können wir zusammenfassen: Wir brauchen einen größeren Hauptbahnhof, wir brauchen einen funktionierenden Bahnhof Diebsteich, wir brauchen sehr viel mehr Strecken. Wir brauchen einfach viel mehr in alle Richtungen. Habe ich das richtig verstanden?

Ja, aber wir müssen erstmal das Netz, das wir haben, so modernisieren, dass es noch besser funktioniert.

 

Wird die Digitalisierung sein?

Ja, da sind verschiedene Projekte angedacht. Einmal das Projekt nach Harburg. Aber da haben Sie dann auch andere Themen als Digitalisierung. Da geht es um so banale Dinge wie ein Gleichrichterwerk, weil sei dort sonst nicht genügend Strom auf die Strecke kriegen, um einen weiteren Zug fahren zu lassen.

Das ist aber das, was wir brauchen. Wir brauchen drei Züge, alle 10 Minuten nach Harburg. Also müssen wir ein Gleichrichter Werk bauen. Aber wir brauchen auch die Digitalisierung. Man muss sich das bei der Digitalisierung mal so vorstellen: Es gibt immer viel Blabla in Deutschland über Digitalisierung. Die einzige Strecke der digitalen Schiene in Deutschland, die es überhaupt gibt, haben wir in der S2 von Berliner Tor nach Bergedorf.

 

Digitalisierung, das ist erst mal auch wieder so ein abstrakter Begriff. Was genau soll denn dort digital werden?

Dor soll der Zugverkehr digitalisiert werden, das kann man einfach so übersetzen: Die Züge sollen in kürzeren Abständen fahren können. Und deswegen kriegen sie mehr Züge auf dieselbe Struktur. Und dadurch können Sie mehr Menschen in einem besseren Takt transportieren.

 

Der Bahnhof Diebsteich

Ich möchte mal ganz kurz zum Bahnhof Diebsteich zurückkommen. Es heißt ja, dass der S-Bahnhof in Altona verbleibt und der Zugverkehr nach Diebsteich umzieht. Was ist mit den Gästen, die quasi beide Verkehrswege brauchen werden? Gibt es dann nicht eine höhere Verkehrslage zwischen Diebsteich und Altona?

Sie müssen sich erst mal vorstellen, dass die meisten Leute, die jetzt zum Beispiel aus Kiel kommen, direkt zum Hamburger Hauptbahnhof fahren und nicht nach Altona. Für diese Passagiere würde es sich, wenn ich das so offen sagen darf, verbessern.  Und dann gibt es auch Passagiere, die noch weiterwollen. Das ist aber eben nicht der große Teil. Das wird man sich dann im Detail angucken. Und wir sind da auch an der Entwicklung der Frage, wo die S 32 beispielsweise langgeht und wo Drehkreuze entstehen.

 

„Wir brauchen eigentlich das Doppelte an öffentlichen Nahverkehr“

Was sind denn die großen Schwierigkeiten bei Ihrer Arbeit und was bräuchten Sie eigentlich noch, um ein optimales Ergebnis zu erreichen?

Beim Eisenbahnverkehr ist das relativ klar. Wir brauchen eine größere und leistungsfähige Infrastruktur. Das sind aber Prozesse, die nicht von heute auf morgen gehen und deswegen werden wir die hier auf allen Ebenen versuchen anzustoßen. Und dabei muss man nicht nur neu bauen, sondern auch die Sanierung und die Digitalisierung müssen dabei im Vordergrund stehen. Was den Bau von Radwegen und die Sanierung von Straßen angeht: Da geht zwar noch ein bisschen mehr, aber da sind wir auch an der Grenze dessen, was unsere Stadt machen kann oder machen will.

Wir brauchen eigentlich das Doppelte an öffentlichen Nahverkehr, um die Mobilitätswende tatsächlich einzuleiten. Und es wäre gut, wenn wir auch mal eine Straßenverkehrsordnung hätten, die etwas anderes kennt, als die Leichtigkeit des Autoverkehrs zu fördern. Also sprich die Aufnahme solcher Themen wie Klimaschutz, wie Vision Zero (null Verkehrstote), wie die Minderung von Abgasen. Das wäre dann nämlich eine Straßenverkehrsordnung, die in vielen Teilen der Großstadt auch angemessen wäre.

 

Herr Tjarks, wir danken Ihnen für das Gespräch.

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