Fragen: Sophie Rhine, Michael Wendland
Tim, im Oktober kam Dein neues Kochbuch heraus. Kurz darauf folgten sechs Eissorten, die du mit Chris Boszczyk ausgetüftelt hast. In diesem Monat kommt die neue Staffel von Kitchen Impossible heraus und bald geht eine neue Produktlinie an den Start. Läuft, oder?
Ja, könnte man so sagen. Aber ich beschäftige mich nicht so sehr damit, ob es läuft oder nicht. Ich beschäftige mich mit den Projekten, die ich mache, und wenn der Inhalt stimmt, ist mir der Erfolg bedingt egal. Das klingt vielleicht ein bisschen überheblich, aber wenn ich ein gutes Produkt abliefere, dann bin ich schon im ersten Moment glücklich. Selbst wenn es nur im kleineren Maße wahrgenommen würde, wäre ich damit sehr zufrieden. Es geht bei mir nicht immer um eine Dominanz, auch wenn ich verbal im Fernsehen oft anders rüberkomme.
Uns ging es weniger um den kommerziellen Erfolg, sondern die Anzahl der Projekte. Wann ist da mal Zeit zum Schlafen?
Ich habe das große Glück, dass ich relativ kreativ bin und das ungebremst. Das ist oft ein Vorteil, wird aber manchmal auch zum Nachteil. Wenn ich zu viele Ideen auf einmal im Kopf habe, wird aus mir ein ziemlicher Unruheherd. Jetzt plane ich aber gerade die Ruhephasen für nächstes Jahr. Das „Problem“ bei mir ist nur, dass ich mich von der grundsätzlichen Arbeit schnell erhole. Und wenn die Ruhe kommt, ist da oben im Kopf gleich wieder etwas los – das ist wie ein Kreislauf vieler Ideen. Und obendrauf habe ich so eine Attitüde, meine Ideen erstmal so weit treiben zu wollen, bis es ein „Geht nicht“ gibt. Wenn mein Management mir sagt, „das können wir nicht machen, das geht nicht“, dann ist die Lunte gelegt. Dann will ich erstmal herausfinden, warum es nicht gehen soll. Ich vertraue meinem Umfeld, aber ich bin auch irgendwie ein kleiner bockiger Junge.
Laufen die Projekte alle gleichzeitig oder wird ein Projekt nach dem anderen abgeschlossen?
Bei mir im Kopf ist so was wie das Kochbuch in dem Moment abgeschlossen, wenn ich es fertig habe. Wenn es zum ersten Mal bei mir ausgedruckt liegt und ich mich über das Ergebnis freue, habe ich den kreativen Prozess dazu beendet. Deshalb fällt es mir im Nachgang auch manchmal schwer, noch bis ins Detail darüber zu sprechen. Mein Kopf ist dann bereits in den nächsten Projekten – das liegt wahrscheinlich auch an meiner kurzen Aufmerksamkeitsspanne. (lacht).
Das Kochbuch und deine Eissorten sind auf dem Markt. Sind diese Kapitel damit beendet?
Also, das Kochbuch ist abgeschlossen und die Markteinführung beim Eis auch. Jetzt geht es darum, neue Eissorten zu kreieren, die Prozesse zu verbessern und zu gucken, wo wir noch hin können. Das mache ich aber nicht alles allein. Ich habe während meines Burnouts eines gelernt: Habe immer jemanden an der Seite, der besser ist als du, in allem, was du tust. Sprich: Für jede Sache, die ich mache, gibt es immer eine oder auch mehrere Personen, ohne die das Projekt nicht in der Form möglich gewesen wäre, einfach weil sie in gewissen Dingen besser sind als ich es bin.. Immer.
Wie groß ist das Team um dich?
Ich habe nicht das eine klassische Tim-Mälzer-Team. Da gibt es viele Menschen um mich herum, die verschiedene Teams bilden.
Da ist die Assistenz, die meine Termine und mehr koordiniert. Außerdem jeder der Mitarbeiter in der Bullerei. Mein Management gehört zu meinem Team und auch mein privates Umfeld. Mit dem tausche ich mich wahnsinnig viel aus. Ich hol mir Inspiration und Unterstützung aus und auf allen Ebenen.
Ich kann nicht richtig sagen, wie viele es genau sind. Das hängt von jedem Projekt ab. Beim Kochbuch waren wir so zehn, zwölf Leute. Bei den medialen Projekten sind das 50, 60, 70, 80 Leute. In der Bullerei sind wir 60 bis 80 Leute. Und alle gehören sie in ihren Bereichen zu meinem Team.
Wie war das mit solchen Produkten, wie dem Eis? Kommt da jemand von außen und sagt: Wäre das nicht mal was?
Beim Eis war es besonders toll: Vor drei Jahren kam Christian Boszczyk auf mich zu und fragte, ob ich Bock habe, eine Klamottenmarke zu machen. Mit T-Shirts und Hoodies, so ein bisschen angelehnt an die Fan-T-Shirts, die man in Amerika in den Burger-Buden kaufen kann -In der Grundidee sollte ich zu diesen Klamotten dann ein passendes Produkt entwickeln. Beispielsweise Barbecue Soße, wenn auf dem Hoodie Korean Barbecue zu sehen ist.
Und dann sind wir Klischee-Welten durchgegangen und haben uns gefragt: Womit kann man sich identifizieren? Da sind wir auch auf Eis gekommen und dachten, das ist eigentlich eine ganz coole Idee. Die Produzentensuche ging sofort los. Dann haben wir Produkte entwickelt. Mein Partner Chris hat sich in erster Linie um das Design gekümmert. Ich habe mir Gedanken gemacht wie ich mir den Geschmack, das Atmosphärische und Emotionale vom Eis vorstelle. Bis aus diesen Vorstellungen dann ein fertiges Produkt wird, ist es natürlich ein langer Weg. Produzieren, Abschmecken, an den Rezepturen schrauben und nochmal Verkosten. Schlussendlich haben wir nun aber eine grandiose Eismarke.
Bei den ganzen Projekten, Fernsehshows, Restaurants, Eis… gibt es Dinge, an denen dein Herz besonders dranhängt?
Mein Herz hängt an der Gastronomie. Als ich gerade frisch im Fernsehen war, sagte mir einer meiner Prüfer aus der Ausbildung, ich sei eine Schande für den Berufsstand des Koches. Das empfand ich als die größte Beleidigung, die ich je gehört hatte. In meiner Zeit in London habe ich 16, 17, 18 Stunden, teilweise wirklich auch 30 Stunden durchgearbeitet. Mit kleinen Pausen hinten im Geschirrlager, wo ich auf dem Boden liegend kurze Nickerchen machte, um die Schicht zu überstehen „Eine Schande für die Köche“, das fand ich anmaßend. Ich liebe den Gast und ich mag Menschen wahnsinnig gerne.
Und mir liegt sehr viel an unserer Identität in der Küche. Das wird leider oft falsch verstanden. Ich bin nicht gegen die gehobene Gastronomie oder gegen Sterne. Ich finde sie sogar richtig toll, da sie die Kulinarik weit nach vorne treiben. Aber wenn ein Gurkensalat nicht mehr als wertig empfunden wird, nur weil der Trüffel auf einmal das große, spannende Ding ist, dann halte ich das für falsch.
Mein Herz hängt an der Gastronomie
In der Pandemie hast du dich für die Gastrobranche stark gemacht. Auch da ging es Dir um den „richtigen“ Blickwinkel …
So langsam müssen wir uns mal ein bisschen breiter hinstellen – für den Bäcker, den Metzger, für das kleine Restaurant. Größere Restaurants wie auch die Bullerei werden in Krisen meistens durchkommen, denke ich. wenn sie nichts komplett falsch machen. Doch für die kleinen Betriebe wird es immer härter. Wir werden in Zukunft gastronomisch und kulinarisch unter einer „Donaldisierung“ leiden. Einfach, weil die großen Unternehmen alles besser kompensieren können. Der kleine Betrieb mit weniger als zehn Mitarbeitern, mit frischem Essen, hat aber bald keine Chance mehr. Und das ist schade. Deshalb setze ich mich an dieser Stelle gerne mal ein.
Was sind momentan die größten Probleme der Branche? Inflation oder Personalmangel?
Insgesamt ist es die Veränderung der Gesellschaft inklusive der Herausforderungen seit Corona. Während der Pandemie haben viele Leute den unternehmerischen Mut verloren, weil die Sicherheitsrücklagen nahezu vollständig oder gar komplett aufgebraucht worden sind. Und seitdem kommt eine Herausforderung nach der anderen.
Zum Beispiel?
Das sich ändernde Mitarbeiterkonstrukt, die Gen-Z, was ich in vielen Bereichen auch in Ordnung finde, aber in einigen Bereichen wiederum übertrieben. Ich beobachte, dass sie sich selbst mitunter das kaputt machen, was sie eigentlich genießen wollen. Wenn ich Kuchen essen will, dann muss ich zumindest eine Person haben, die noch backt. Und wenn ich dazu gar nichts mehr beitragen möchte, dann wird es eine enge Nummer. Wenn ich nicht bereit bin, den Tisch zu decken, wenn ich nicht bereit bin, den Kaffee dazu zu kochen, dann macht auch der Kuchen irgendwann keinen Sinn mehr.
Ich bin so etwas wie der Anwalt des kleinen Mannes in der Küche.
Es gibt schon sehr viele Produktlinien da draußen, trotzdem kommt eine Neue im April dazu, und zwar von Dir. Warum und worum geht es da?
Ich bin so etwas wie der Anwalt des kleinen Mannes in der Küche. Deswegen beschäftige ich mich viel damit, wie man Dinge vereinfachen kann, ohne die Wertigkeit zu rauben. Ich sehe meine Aufgabe als Fernsehkoch darin, öffentlich aufzutreten und die Leute zum Kochen zu motivieren. Würde ich jetzt mit einer reinen Fertigproduktlinie auf den Markt kommen, hätte ich inhaltlich ein Problem damit. Denn alles, was ich möchte, ist, dass sich Leute zu Hause ein Brot schmieren, oder eine Pasta Kochen, Pfannkuchen und Schmorbraten zubereiten, Traditionen entwickeln und weitertragen. Was einige Leute dabei aber als Belastung empfinden, finde ich hingegen schön. Ich koche abends zur Entspannung. und wenn ich das kann, können das viele andere auch. Daher meine Produktlinie als Hilfe zur Selbsthilfe.
Wie überträgst Du das auf die neue Produktlinie?
Ich habe mir den Alltag angeschaut. Freizeit gibt es nicht mehr so wie früher beziehungsweise hat sich das Freizeitverhalten geändert. Das gilt auch für mich: Manchmal müssen in meiner Welt Dinge ganz, ganz schnell gehen. Komme ich um 18.30 Uhr nach Hause, muss um 18.45 Uhr das Essen auf dem Tisch stehen. Und dann habe ich meine Wege, Essen sehr schnell sehr schmackhaft zuzubereiten. Das ist das, was ich mit Rewe mit den neuen Produkten in Zukunft anbiete. Wir verkürzen quasi die Arbeitszeit in der Küche – aber trotzdem kommen am Ende leckere Gerichte dabei raus.
Ein wenig wie bei einer Backmischung?
Am Ende des Tages ist es ähnlich, ja. Eine Backmischung ist nichts anderes als abgewogenes Mehl, Backpulver, Zucker und Co. Also man nimmt dir einen Arbeitsschritt ab und sagt dir, du kannst das machen.
Das hört sich ein bisschen wie das Prinzip von Eugen Block an, dass er für die große Gastronomie anbietet.
Richtig. Eugen Block schätze ich extrem. Ein ganz großer Visionär, mit seinem Block Menü. Wenn ich die gleichbleibende Qualität in meinem Leben hätte, dann wäre das Leben ganz schön einfach. Wir haben uns die Werke angeguckt…
… In denen die Grundlagen für die Gerichte vorgefertigt werden.
Ja. Eugen Block und ich sprechen viel miteinander und der einzige Grund, warum ich seine Produkte nicht kaufe, ist wirklich, weil ich Individualität sehr schätze. Ich will kochen, ich will das selber machen. Ich kann das aber natürlich auch.
Apropos kochen können. Die nächste Staffel Kitchen Impossible steht an. Darfst Du schon etwas dazu sagen?
Zwischendurch dachte ich mir: Ich wünschte, das wäre meine letzte (lacht). Da wisst ihr ja ungefähr, wie es mir ergangen ist. Das Format bringt mich manchmal ganz schön an meine Grenzen.
Es war brutal anstrengend.
Weil es anstrengend war?
Es war brutal anstrengend. Man merkt langsam auch körperlich die Herausforderung. Die ganzen Reisen und gerade dieses Stressmoment, in der fremden Küche zu stehen und etwas nachzukochen, und auch immer wieder daran zu scheitern – das ist auf Dauer sehr anstrengend.
An welchem Gericht bist Du am meisten verzweifelt?
Es gibt ganz viele, die ich nicht hinbekomme. Das ist auch das Schöne an dem Format.
Alle Aufgaben sind schwer. Eine der schönsten Sachen, die ich gemacht habe, waren Orecchiette mit Tomatensoße., Das ist für mich immer der Parameter bei Kitchen Impossible. Drei Sterne, daran kannst du scheitern, das ist die absolute Spitze. Wenn ich das Handwerk entsprechend beherrschen würde, hätte ich drei Sterne, habe ich aber nicht. Aber ich sag mal so: Jemanden, der viele Kochbücher gemacht hat, fast 1.000 Kochsendungen hinter sich hat und ihn Nudeln mit Tomatensoße kochen zu lassen und er daran dann scheitert … das ist so wahnsinnig frustrierend. Am Ende habe ich es aber noch hingekriegt. (grinst)
In einer Sendung hieß es „Oh, für einen Deutschen hat er die Nudeln richtig gut hingekriegt, die sind al dente“. Was macht das mit Dir?
Das finde ich gut. Kulinarik steckt voller Arroganz. Ich meine sowas wie die Diskussion zwischen Hamburg und Berlin, wer die Currywurst erfunden hat. Zwischen Nord und Süd, welcher Kartoffelsalat der Wahre ist, der schwäbische oder der norddeutsche mit Mayo? Trau dich mal und koch für zehn Italiener ein Risotto und sag, das ist ein Risotto! Wenn sie einigermaßen ehrlich zu dir sind, denken sie wahrscheinlich alle, dass das eine Reispfanne sei. (lacht) Obwohl es vielleicht das beste Risotto ist, was sie in ihrem ganzen Leben je gegessen haben. Und das sind so Parameter, die irgendwo und irgendwie mit reinspielen. Wenn du Komplimente bekommst, wie „für einen Deutschen ist das gut gelungen“, finde ich das super. Da weiß ich, ich habe richtig abgeliefert. Und genau diese Momente liebe ich so an dem Format.
Du sagst, die italienische Küche ist dir die liebste. Aber gibt es unabhängig davon eine Länderküche, die dich besonders beeindruckt?
Die deutsche und die japanische. Ich finde, die italienische und die deutsche Küche sind gar nicht so weit voneinander entfernt, wenn man mal die Restaurantküche außen vorlässt. Ich finde zum Beispiel, dass Linsen mit Spätzle ist ein richtig tolles Gericht ist. Wenn man nach Italien fährt, kriegt man ja auch selten wirklich eine Nudel mit Jakobsmuscheln. Sondern man kriegt Nudeln mit einem Ragout, Nudeln mit Gemüse. Es geht um die Pasta. Und die machen sie mit einem schönen Sößchen dazu und zelebrieren es, als ob es das beste der Welt ist. Ebenso verhält es sich mit der Pizza. Im Grunde ist es ein Teigfladen. Aber dieser wird zu einer Art Religion. Und das sehe ich bei der japanischen Küche auch. Die Demut vor dem Einfachen. Dem aber trotzdem eine Wertigkeit zu geben – das steht uns manchmal im Wege.
Gerade deshalb finde ich aber die deutsche Küche auch so toll und facettenreich. Wir haben Knödel. Wo ist ein Unterschied zwischen Gnocchi und Knödel? Für mich gibt es da gar keinen.
Ein Ossobuco finden alle toll, aber die Roulade wird dann als Hausmannskost abgestempelt. Das verstehe ichüberhauptnicht.Aber beim Italiener kriegt es gleich eine Wertigkeit, während wir sagen „Pff, eine Roulade.“ Ach, es gibt da so viele Beispiele.
Kommen wir kurz zurück auf „Kitchen Impossible“. Für die Uneingeweihten: Es ist ein Kochwettbewerb, bei dem Du und ein Gegenüber sich Herausforderungen stellen. Die Teilnehmenden müssen ein oder mehrere Gerichte nachkochen, die sie in einer schwarzen Box vorfinden, ohne Rezepte. Was muss in der Box sein, um Dich verzweifeln zu lassen?
Das passiert vor allem dann, wenn ich die Atmosphäre nicht schmecke. Nimm fünf Sachen, jede einzeln, pack sie auf einen Teller, und es kann sein, dass ich das Gericht trotzdem nicht nachkochen kann. Die Atmosphäre wird vor allem über den Geschmack transportiert. Wenn mich dieser nicht berührt, dann komm ich damit auch nicht klar. Ich habe in der letzten Staffel einen Eintopf gekocht, in Argentinien, und alles, was ich letztendlich gekocht habe, war der Steckrüben-Eintopf meiner Oma. Denn dieser Eintopf hatte genau die gleiche emotionale Dichte, ohne dass ich wusste, was drin ist. Ich habe also den Steckrüben-Eintopf meiner Oma gekocht mit den Produkten, die ich erkannt habe, und könnte wetten, dass ich gut abgeschnitten habe. Und das mag ich so gerne. Ich mag Emotionen. Verzweifeln kann man eigentlich an jeder Aufgabe, aber je unemotionaler, je technischer es ist, je mehr Firlefanz auf dem Teller präsentiert werden soll — damit tue ich mich schwer. Gerichte mit emotionaler Dichte hingegen – so schlicht si eauch sein mögen – , die finde ich wirklich, wirklich, wirklich toll. Das sind Sachen, die kann ich dann zwar vielleicht auch nicht gut umsetzen, aber ich verzweifle schöner daran! (lacht)
Tim, wir danken Dir für das Interview.