17. Juli 2023
Panorama

Kortes benennt sich wegen Nazivergangenheit um

Der Geschäftsführer der Buchhandlung Kortes, Pascal Mathéus, nennt es ein dickes Ding: Zum einen haben Recherchen ergeben, dass Alfred Kortes eine NS-Vergangenheit hatte, zum anderen, scheint die Buchhandlung in Wahrheit die älteste der Stadt zu sein.

Alfred Kortes, 3.v.r., aus dem Templiner Kreiskalender 1936 // Quelle: SLB BrandenburgDOK

Alfred Kortes (3.v.r.) mit Kreisjägermeister Belbe (3.v.l.) und dessen Hegeringleitern Klaue (1.v.l.), Graf Arnim (2.v.l.), Müller (2.v.r.) und Rahtz (1.v.r.) ; aus dem Templiner Kreiskalender 1936 // Quelle: SLB BrandenburgDOK

Vor geraumer Zeit haben Pascal Mathéus und Florian Wernicke die Buchhandlung Kortes in Blankenese übernommen. Schon damals war sie mit rund 100 Jahren Geschichte eines der ältesten Buchgeschäfte Hamburgs. Die dicken Bände mit Material zur Geschichte des Ladens weckten die Neugier der neuen Eigentümer. In den Unterlagen gab es, wie sich zeigte, einiges, was der Namensgeber Alfred Kortes verschwiegen hatte.

Pascal Mathéus und Florian Wernicke (v.l.), Eigentümer der Buchhandlung Wassermann (vormals Kortes) // Foto: Louisa Schwope
Pascal Mathéus und Florian Wernicke (v.l.), Eigentümer der Buchhandlung Kortes
// Foto: Louisa Schwope

Pascal Mathéus und Florian Wernicke stießen schließlich auf einen Beitrag im Börsenblatt, der berichtete, dass Alfred Kortes nicht der Gründer der Buchhandlung war. Scheinbar hatte er den Laden in Templin 1921 von seinem Vater Gottfried übernommen. Dieser Sachverhalt kam Mathéus, der auch Geschichtswissenschaften studierte, seltsam vor. Für ihn und Wernicke war es der Anstoß, genauer hinzusehen. Mathéus besuchte fünf Archive, wie etwa das Stadtarchiv Templin und das Bundesarchiv Hamburg. Die Besuche brachten gleich mehrere bedeutende Dinge ans Licht.

Alfred Kortes‘ NS-Vergangenheit

Wie die Recherchen der neuen Inhaber ergaben, war Kortes von 1933 bis 1945 Mitglied der NSDAP. 1933 war er kurzzeitig auch Mitglied der SA. Außerdem füllte er seit 1933 einige Ämter in Templin aus – teilweise in direkter Zusammenarbeit mit den örtlichen Nazianführern. Für die neue Propaganda richtete Kortes schnell einen eigenen Teil in seinem Geschäft ein, schoss Propagandafotos und verkaufte Eintrittskarten zu Naziveranstaltungen. Das von Kortes verlegte Templiner Kreisblatt stellte sich zudem schon früh in den Dienst der NSDAP.

Anzeige der Buchhandlung Kortes aus dem Templiner Kreisblatt vom 2. April 1933.
Anzeige der Buchhandlung Kortes aus dem Templiner Kreisblatt vom 2. April 1933.

Während der Recherche erhielt Mathéus auch einen Hinweis aus Templin, der sich auf die Gründung der Buchhandlung bezog. Schnell wurde klar, dass auch Gottfried Kortes nicht der Geschäftsgründer war, sondern ein gewisser Friedrich Wassermann. Es war der erste Hinweis darauf, dass die Buchhandlung in Wahrheit wesentlich älter sein könnte, als bislang angenommen wurde.

Klare Stellung beziehen

Im Vordergrund stand aber zunächst weiter die Frage um Alfred Kortes‘ Vergangenheit. Auf die Frage, ob Alfred Kortes ein „strammer Nazi“ gewesen sei, verneint Mathéus dennoch: „Meiner Meinung nach war er nicht mehr als ein Mitläufer. Die Besatzungsbehörden haben ihn im Entnazifizierungsprozess sogar als entlastet eingestuft.“ Grund hierfür seien scheinbar die „Persilscheine“ gewesen, also die wohlwollenden Aussagen von Bekannten, Freunden und Kunden. Dennoch hat Kortes auch nach Kriegsende seiner Kundschaft noch Werke der Nazipropaganda empfohlen, wie Aufzeichnungen zeigen.

Verurteilen wollen Wernicke und Mathéus den früheren Namensgeber ihres Geschäftes jedoch nicht. Hierzu sagt Pascal Mathéus: „Wir wissen nicht, wie wir in dieser Zeit gehandelt hätten. Daher möchte ich nicht den Stab über Alfred Kortes brechen. Aber wir wollen uns klar von diesem Teil der Geschichte distanzieren. Und wir möchten auch die Frage in den Raum stellen, inwiefern wir Teil der Wiederaufarbeitung sein können. Daher werden wir unser Geschäft umbenennen und es erhält den Namen des ursprünglichen Gründers.“ Sein Geschäftspartner Florian Wernicke fügt hinzu: „Diskussionen zur Umbenennung gab es nicht lange. Wir wollten einen guten Weg finden, wie wir mit Kortes‘ Vergangenheit umgehen und deutlich machen, in welcher Tradition wir stehen wollen.“

Noch in diesem Monat wird aus der Buchhandlung Kortes die Buchhandlung Wassermann

Zum 100. Geburtstag der Buchhandlung Kortes überreichte die Handelskammer Hamburg eine Urkunde. Auf ihr steht der 1. April 1921 als Gründungsdatum des Geschäfts. Nun ist klar, es ist nicht das eigentliche Gründungsdatum. Es ist der Tag, an dem Alfred Kortes die Buchhandlung in Templin (Brandenburg) von seinem Vater Gottfried übernahm. Rund dreißig Jahre zuvor kaufte er das Geschäft von Familie Wassermann, samt Verlag, der das Templiner Kreisblatt herausbrachte.

Anzeige aus dem Templiner Kreisblatt vom 1. Oktober 1889 zur Geschäftsübergabe. // Quelle: Stadtarchiv Templin
Anzeige aus dem Templiner Kreisblatt vom 1. Oktober 1889 zur Geschäftsübergabe. // Quelle: Stadtarchiv Templin

Die tatsächliche Gründung geht damit auf Friedrich Wassermann zurück, der sein Geschäft bereits am 1. April 1848 in Templin eröffnete. Dieses Datum hat auch die Handelskammer Hamburg kürzlich anerkannt. Sie bestätigt, dass die Buchhandlung damit bereits 175 Jahre zählt und die älteste in Hamburg ist. Dies unterstreicht die Handelskammer am 18. Juli offiziell mit der Übergabe einer Urkunde an Pascal Mathéus und Florian Wernicke.

Erste Reaktionen

Am vergangenen Mittwoch veröffentlichten die Kortes-Eigentümer eine Pressemitteilung zu ihrem historischen Fund und der Umbenennung. Prompt zog dies Aufmerksamkeit auf sich. Das Echo der Kundschaft und der Presse sei überaus positiv gewesen, so die Buchhändler. Nur wenige seien zurückhaltend und nur einzelne äußerten sich kritisch. Die Buchhandlung Wassermann wird zeitnah ein neues Logo erhalten. Es wird über Veranstaltungen und begleitendes Material zur Umbenennung nachgedacht. Vielleicht, so Wernicke und Mathéus, werde man auch im Geschäft einen Weg finden, dauerhaft auf die Vergangenheit der Buchhandlung hinzuweisen.

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