Luisa, wie ging es bei dir mit Fridays For Future (FFF) und dem Umweltaktivismus insgesamt los? Gab es ein Initialereignis?
Schon als Kind habe ich etwas erlebt, was viele kennen: Man macht die Augen auf, sieht den Müll, die verdreckten Flüsse, den schwinden Schnee im Winter und stellt fest, da stimmt etwas nicht. Aber ich habe mich persönlich nicht so angesprochen gefühlt. Ich dachte, dass sich die Erwachsenen schon kümmern würden.
Dann habe ich genauer hingeguckt. Das war 2018, als erstmals in Europa große Waldbrände in den Schlagzeilen standen und der Hambacher Forst gerodet werden sollte. Da fragte ich mich, wer sich jetzt darum kümmert. Denn es wäre praktisch, wenn er das jetzt mal täte. Mir fiel auf, es wird uns brauchen. Damals habe ich zufällig Greta getroffen und sie zeigte, wie man sich einbringen kann, und wenn sie das kann, dachte ich, kann ich das auch.
Du sagst, du hast Greta Thunberg zufällig getroffen. Wie kam es dazu?
Wir waren beide auf der Weltklimakonferenz in Polen 2018. Ich war eigentlich da, um zu erleben, wie es aussieht, wenn Regierungen sich für das Klima einsetzen. Die Konferenz hat mich dann aber erschüttert Ich sah keine einzige Regierung, die sich ernsthaft mit dem Klima befasste. Aber ich sah Greta und dachte, sie scheint einen Plan zu haben. Also fangen wir da mal an.
„Ausplündern, als gäbe es kein Morgen …“
Du nimmst bald an der UN-Klimakonferenz teil. Was sind dort Deine Ziele?
Die Klimakrise ist ein globales Problem und braucht eine globale Lösung. Das heißt, wir vereinbaren globale Ziele und dann müssen alle ihre Hausaufgaben machen. Bei den Klimakonferenzen geht es darum, dass man gemeinsame Regeln aufstellt und sich auch daran hält. Das Dramatische ist gerade, dass die Regierungen Versprechen machen, wie beim Pariser Klimaabkommen und dann in ihrem Land erzählen: Naja, das ist eine globale Krise, da muss man sich global darum kümmern. Aber sich global zu kümmern, das heißt, hier und jetzt etwas zu tun. Alle müssen zu Hause ihren Job erledigen.
Wir werden uns auf der Konferenz dafür einsetzen, dass man sich global über Erneuerbare stark macht. Vor allem wollen wir dafür sorgen, dass die „fossilen Konzerne“ und ihre Lobbyisten nicht durchkommen, denn die haben vor, den Planeten auszuplündern, als gäbe es kein Morgen. Das machen sie auch sehr deutlich. Es liegt an uns, dagegen zu halten.
„Es ist sehr hart, wie wenig daraus gemacht wird.“
Stehen die Deutschen deiner Meinung nach hinter dem Klimaschutz?
Am Anfang steht die Frage nach dem Potential und das ist in Deutschland größer als anderswo: Wir haben eine Öffentlichkeit, die klimabewusst ist. In jeder Generation gibt es eine Mehrheit für guten Klimaschutz. Uns stehen Technologien zur Verfügung, wir haben weltweit politische Macht, wir haben Ingenieure und einen Arbeitsmarkt, der gute Ausbildungen ermöglicht. Wir haben auch die finanziellen Möglichkeiten.
Im Kontrast dazu ist es sehr hart, wie wenig daraus gemacht wird. Deutschland müsste eigentlich das Land sein, das zeigt, wie eine Industrienation der Zukunft aussehen könnte, wie Menschen ausgebildet werden, damit die Zukunftsjobs gemacht werden können, wie man Verteilungsfragen im öffentlichen Raum organisieren kann, wie man eine öffentliche Infrastruktur klimagerecht ausbaut oder wie man den ÖPNV weiterentwickelt und zeigt, was wir brauchen, damit Menschen auch ohne Auto mobil sein können. Doch das alles passiert eben nicht in annähernd ausreichendem Ausmaße.
Wenn es in der Bevölkerung eine Mehrheit für Klimaschutz gibt, liegt es dann an der Politik, dass zu wenig passiert?
Die Umfragen sind da sehr deutlich. Was die Menschen aber nicht wollen, ist ungerechter Klimaschutz. Sie haben Angst, abgehängt zu werden von ungerechten Klimamaßnahmen, aus allen guten Gründen. Statt aber jetzt durch die Lande zu ziehen, und zu behaupten, die Menschen würden keinen Klimaschutz wollen, wäre es die Aufgabe der Regierung, sich ehrlich zu machen und anzuerkennen, dass es harte Arbeit ist, gerechte Klimapolitik zu machen. Aber es braucht Zeit, gerechte Maßnahmen zu finden, die die Ärmsten mitdenken und wo klar ist, dass manche Schultern mehr tragen müssen.
„Wir haben bereits viel geschafft.“
Wie fair und sachlich wird die Debatte deiner Meinung nach in Deutschland geführt?
Die Frage beantwortet sich von selbst. Eine Sachlichkeit in der Klimadebatte, wenn wir sie mal hatten, haben wir sie auf jeden Fall in weiten Teilen verloren. Es ist erschreckend, wie offensiv aktuell in Sachen Klima gehetzt, geleugnet und relativiert wird. Dabei geht es im Endeffekt doch darum, dass man nicht Lobbyinteressen umsetzt, sondern, dass alle Menschen in diesem Land ein Anrecht darauf haben, dass das Klima intakt, die Luft sauber, dass das Wasser nicht verseucht ist und dass wir hier stabile Ernten einfahren können.
Glaubst du, es gibt noch Möglichkeiten, irgendwie auf dem faktenbasierten Konsens zurückzukommen?
Ich würde meinen Job nicht machen, wenn ich nicht überzeugt wäre, dass man Menschen für einen Klimadiskurs gewinnen kann, der respektvoll ist und gut informiert.
Wenn wir überlegen, wo wir gestartet sind, dann haben wir schon einiges geschafft. Als wir 2018 mit Fridays For Future anfingen, gab es in Deutschland nicht mal einen Klimadiskurs. Es gab keine Schlagzeilen zur Klimakrise, es gab kaum Bewusstsein für Klimaaktivismus, es gab kaum Massendemonstration. Zu dem Zeitpunkt hat man ganz regulär Klimawissenschaftler und Klimaleugner in eine Sendung eingeladen und gesagt, jetzt streitet euch mal. Wir sind weit gekommen. Und mittlerweile ist es selbstverständlich, dass auch der Klönschnack ein großes Interview zum Klima macht.
Es gibt eine Gesellschaftsdynamik und natürlich können wir die verändern oder anschieben, aber das heißt eben auch, jetzt zu intervenieren, wenn etwas schiefläuft und den Diskurs zu verteidigen.
„Aber es gibt eben auch das, was dazwischen liegt.“
Ist die Tatsache, dass es diese Öffentlichkeit jetzt gibt, einer der größten Erfolge von FFF und von dir?
Es gibt ganz harte politische Erfolge. Wir haben den Kohleausstieg erkämpft, wir haben das erste Klimaschutzgesetz in der Geschichte des Landes, wir haben das erste Mal einen Expertenrat für Klimafragen in der Bundesregierung, wir haben ein CO2-Preis und bald im besten Fall auch noch ein Klima-Geld. Wir haben es auch auf europäischer Ebene geschafft, die progressivste, ökologischste EU-Regierung zu organisieren, die es jemals gab mit dem Green Deal. Das sind alles Dinge, die sind nicht per Zufall durchgekommen. Es war harte Arbeit und ein riesengroßes Zusammenspiel von vielen.
Aber es gibt eben auch das, was dazwischen liegt. Dass wir mittlerweile viel selbstverständlicher an Schulen über Klima sprechen. Dass Hochschulen und Universitäten Menschen für Klima-Jobs ausbilden. Dass es in jedem Beruf, in jedem Sektor und jeder Generation Vertreter von FFF gibt, dass die Klima-Senioren in der Schweiz die EU verklagen, weil sie von der Hitze betroffen sind, dass es mittlerweile Psychologists for Future gibt, die sich dafür einsetzen, dass Menschen mit Klima-Angst besser betreut werden. Und dass kleine Kinder Vorbilder haben, die ihnen nah sind. Kein Kind muss mehr denken, dass man erst ein Mann in Anzug werden muss, um etwas zu verändern.
Können die privilegierten Elbvororte Klimaschutz?
Du kommst hier aus den Elbvororten. Wie nimmst du Klimaschutz in den Elbvororten wahr?
Tatsächlich, ja. Ich denke da beispielsweise an meinen Schulweg – acht Jahre lang bin ich mit meinem kleinen Fahrrad an einer 50er Straße zur Schule geradelt. Letztens bin ich da wieder längs gefahren und dachte „krass“! Das klingt banal, aber was ich hier erlebe, das war in meiner Schulzeit unvorstellbar: Ein befestigter Fahrradweg, Kreisverkehre, eine eigene Spur, eine reduzierte Zone, der Bus, der öfter fährt. Wenn man hinschaut, erlebt man – an sehr vielen Orten Deutschlands, nicht nur in Blankenese – dass es tatsächlich eine manifeste Transformation gibt.
Nun sind die Elbvororte recht priviligiert …
Ich weiß nicht, ob den Menschen in den Elbvororten, so klar ist, dass wir hier an einer Klimafront gelegen sind. Die Versalzung der Elbe, die Hochwasser, das betrifft uns. Wenn man mit den Landwirten aus der Umgebung spricht, merkt man das schon jetzt.
Auf der anderen Seite denke ich, dass es gerade Regionen wie die Elbvororte sein müssten, die sich ihrer Privilegien und ihrer Möglichkeiten bewusstwerden, die sich reinhängen, weil eben aus Privilegien Verantwortung kommt. In der Klimakrise heißt das Geld haben, heißt das Zeit haben, heißt das Möglichkeiten haben, heißt das Einfluss haben, heißt das Zugänge haben. Die Menschen sind genau in diesem Augenblick gefragt, das zu nutzen und ihren Teil beizutragen.
Schadet „Die letzte Generation“ dem Aktivismus?
Ein anderes Thema: Gibt es Synergien zwischen Fridays For Future und der letzten Generation? Beide haben dasselbe Ziel. Schaden sie sich eher oder ergänzen sie sich?
Ich bin sehr froh, dass wir uns in dieser Gesellschaft nicht einig werden müssen, welche Protestformen die beste ist. Wir müssen uns nur darauf einigen, dass es Protest braucht. Darum geht‘s, und ich kann verstehen, wenn Menschen das blöd finden, was die Letzte Generation macht.
Und dann gibt es Gott sei Dank ganz, ganz viele andere Möglichkeiten, sich einzusetzen. Denn eine Meinung zu Protest zu haben, aber selbst nichts zu tun, das scheint mir ehrlicherweise fast ein bisschen selbstgerecht in diesen kritischen Zeiten.
Hat die Letzte Generation in ihrer „leichten Radikalität“ Fridays For Future geschadet? Auch in der Art, wie jetzt über den Klimastreik berichtet wird?
Ich glaube, wir können sehr gut hinterfragen, ob es Medien gerade gelingt, genug über die Klimakrise zu sprechen – oder ob sie sich ablenken lassen und sich im Kreis drehen mit einer endlosen und ziellosen Problembesprechung der Protestform.
Keiner von uns geht auf die Straße, weil wir eine Marke beschützen wollen. Sondern wir gehen auf die Straße, weil es um die Klimakrise geht. Was am Ende da steht, zu welcher Bewegung, ist in meinen Augen völlig zweitrangig. Die Frage ist, schaffen wir es rechtzeitig umzulenken? Schaffen wir es, Menschen zu begeistern? Schaffen wir es, Menschen Mut zu machen und darin zu bestärken, dass es bei der Klimafrage nicht nur darum geht, Schlimmes zu verhindern, sondern dass wir die Chance haben, etwas Großartiges zu gestalten?
Wann ist das Ziel des Aktivismus erreicht?
Gäbe es einen Punkt, an dem Du sagen würdest der Aktivismus hat seine Ziele erreicht, ich ziehe mich zurück?
Wir werden immer für irgendwas einstehen müssen. Aber die entscheidende Frage ist, schaffen wir es, an einen Punkt zu kommen, an dem wir nicht mehr Grundsätzliches verhandeln müssen. An diesen Punkt können wir kommen. Und dann können wir im besten Falle mehr über die Umsetzung sprechen. Denn dann wäre klar, dass nicht jeden Augenblick, in dem wir uns einmal kurz wegdrehen, wieder eine Grundsatzfrage von vorgestern rausgeholt wird und überlegt wird, dass man das Pariser Abkommen nicht so gut findet.
Geht es ohne China und Russland?
Was würdest du Leuten auf den Weg geben, die sagen, es ist schon zu spät, es bringt eh alles nichts, Deutschland kann nichts bewirken, wenn Russland und China nicht mitmachen?
Wenn wir irgendeine Chance haben wollen, dass China mitmacht, die ja auch das Pariser Abkommen unterzeichnet haben, genau wie Russland, dann tun wir uns einen großen Gefallen, kein schlechtes Vorbild zu sein. Wenn wir diplomatische Macht auf diese Länder ausüben wollen, wenn wir eine Chance haben wollen, bei einer Klimakonferenz diese Länder tatsächlich zur Verantwortung zu ziehen, dann wäre der erste Schritt dafür zu sorgen, dass die sich nicht direkt in dem Augenblick an uns wenden und sagen: Leute, ihr haltet euch selbst nicht an die Klimaziele, was wollt ihr eigentlich von uns?
Gerade bei China sehen wir auch, wie schnell das anders gehen kann. China hat letztes Jahr circa so viel Solarkapazitäten aufgebaut wie der komplette Rest der Welt zusammen. Über zehn chinesische Provinzen diskutieren gerade aktuell den Kohleausstieg. Das wird eine große Herausforderung sein, aber die wird nicht kleiner, wenn wir dieses große Gruppenprojekt von unserer Seite aus her blockieren.
Und abgesehen davon, in Sachen Klima- und Umweltfragen geht es um ganz große Fragen, aber auch um ganz kleine Fragen. Will man zum Beispiel, dass das eigene Kind morgens auf einem sicheren Fahrradweg zur Schule kommt? Niemand sollte sich von Putin aufhalten lassen, dafür zu kämpfen, dass die Städte sicher werden, die Luft sauber, das Essen gesund und die Großeltern in Hitzewellen gesichert und geschützt sind.
Wir danken Dir für das Interview.
Zur Person
Luisa Neubauer, 1996 in Hamburg geboren, wuchs in den Elbvororten auf. Bereits ihre Großmutter und ihre Mutter waren im Umweltschutz aktiv.
Bekannt wurde Neubauer durch ihre Führungsrolle in der deutschen Fridays For Future Bewegung. Die studierte Geografin engagiert sich neben dem Klimaschutz auch für die Bekämpfung extremer Armut und ist als Publizistin tätig.
Hinweis: Das Interview wurde vor Greta Thunbergs Äußerungen zum Nahost-Konflikt geführt. Daher findet dies im Interview keine Erwähnung.