Herr Strunk, in Ihrem neuen Buch gibt es auch eine Geschichte mit dem Titel „Der gelbe Elefant“. Darin geht es um männliche Inkontinenz. Warum dieser Titel?
Es ist aus meiner Sicht und der des Verlages der kräftigste Titel. Nehmen wir einen beliebigen anderen Titel aus dem Buch: Der erledigte Experte – schwach, Der Eisengreis – auch schwach, blutende Ohren – wieder schwach. Der Titel muss Interesse wecken. Nichts anderes.
Die Geschichte ist also nicht besonders wichtig?
Nein. Das sieht man schon an der Länge. Aber der Titel ist einfach top!
Wenn diese Geschichte unwichtig ist, gibt es dann auch eine Geschichte, die Ihnen besonders wichtig ist?
Je länger eine Geschichte ist, desto wichtiger ist sie grundsätzlich für mich. Rein formal gibt es zwei Grundkategorien im Buch: zum einen Sozialstudien, wie in der ersten Geschichte, in der es um Kroketten geht. Die andere Art Geschichten sind so Edgar Allen Poe-artige Fantasy-Sachen, die meist mit dem Tod des Protagonisten enden.
„Ich bin nun mal das Gegenteil einer rheinischen Frohnatur …“
Woher kommen diese dunklen Geschichten?
Das weiß ich auch nicht so genau. Ich bin nun mal das Gegenteil einer rheinischen Frohnatur und abgesehen davon, ist das Ideenhaben mein Kapital. Das Entscheidende ist Fantasie und Ideen haben – und die dann auch bewerten zu können. Wenn ich etwas beobachte oder eine Idee habe, dann ist das quasi eine Art körperlicher Vorgang: Ich merke, wenn die Idee zündet.
Die kurze Form kennt man bei Ihnen schon aus Studio Braun-Zeiten. Der große Erfolg kam aber mit einem Langtext: Waren Sie überrascht, dass ihnen ihr Debüt „Fleisch ist mein Gemüse“ so gut von der Hand ging?
Ich war vor allem überrascht, dass es jemanden interessiert hat. Das ist ja kein ausgewiesener Besteller-Stoff: Die Geschichte über eine norddeutsche Muckerband und einen Typen, der Akne hat und Probleme mit seiner Mutter und allem möglichen anderen. Dass das so ein Riesenerfolg wurde, hat kein Mensch geglaubt. Übrigens auch nicht der Verlag. Das Buch erschien als Originalausgabe im Taschenbuch. Das heißt dann immer, dass eher wenig Hoffnungen damit verknüpft sind. Jetzt ist es ein Beispiel dafür, wie ein Buch, auf das keiner gesetzt hat, aus irgendwelchen unerfindlichen Gründen ein Erfolg geworden ist.
Sie befinden sich nach eigener Aussage im „krassesten Jahr Ihrer Laufbahn“, mit einem Serienstart, Ihrem neuen Buch, einem Kalender …
… und einem Bilderbuch. Das erscheint Ende Juli. Dieses Jahr ist nicht wiederholbar. Es hängt auch damit zusammen, dass ich das meiste davon in der Corona-Zeit gemacht habe und nun alles rauskommt. Jetzt müssen wir schauen, ob es funktioniert. Manchmal kannibalisieren sich die Stoffe, ein anderes Mal entstehen Synergien. Ich denke aber schon, dass „Der gelbe Elefant“ vernünftig funktioniert.
Auch gut funktioniert hat „Der goldene Handschuh“. Was bedeutet Ihnen dieser Roman?
„Der Goldene Handschuh“ war der Titel, der mich offenbar für alle als ernst zu nehmenden Autoren kenntlich machte. Ein Riesenerfolg. Für mich persönlich war es das Buch, nach dem ich dachte, jetzt kann nicht mehr viel schief gehen in meinem Leben.
Bei „Junge rettet Freund aus Teich“ war das anders. Da dachte ich, jetzt geht es wieder steil bergab. Nach „Jürgen“ fühlte ich mich wieder etwas missverstanden. Von „Es ist immer so schön mit Dir“ hatten wir uns mehr versprochen, aber es blieb deutlich unter den Erwartungen. Dann: „Ein Sommer in Niendorf“, genau umgekehrt. Das ist ausgleichende Gerechtigkeit. Auch wenn es die natürlich nicht gibt.
„Scheinbar hängt Ihr Herz an diesem Roman.“
Bleiben wir doch kurz bei „Junge rettet Freund aus Teich“ …
Der Roman ist damals sehr schlecht gelaufen. Das war richtig bitter für mich. Ich dachte, jetzt ist meine schriftstellerische Laufbahn vielleicht schon beendet.
Das hat mich wahnsinnig gewurmt, weil ich den Roman so gut finde. Deshalb wird er noch mal in einer veränderten Form erscheinen und „Ein Kindertag“ heißen. Die Geschichte wird fortgeschrieben. Mathias‘ Leben wird in zwei Abschnitten weitererzählt bis ins Alter. Das ist der Plan. Ich schätze mal, in fünf, sechs Jahren kommt es dann raus.
Scheinbar hängt Ihr Herz an diesem Roman.
Ja, aus vielerlei Gründen. Ich fand, dass es mir gut gelungen ist, mich in die Ausdrucksweise und in die Gedankenwelt eines Sechs-, eines Zehn- und eines 14-Jährigen reinzuversetzen. Ich wusste erst nicht, ob ich das kann, weil ich selbst keine Familie habe. Aber ich finde, es ist ein sehr schöner Roman, und es hat eben auch etwas Neues: dass man eine sich ändernde Sprache benutzt, über drei Abschnitte hinweg. Ich wüsste nicht, dass es so was schon gab.
Gibt es einen Unterschied bei der Empathie für die Charaktere, je nachdem ob es um eine Romanfigur geht oder eine Person in einer Kurzgeschichte?
Es gibt keinen großen Unterschied, außer der Dauer der Auseinandersetzung. Aber wenn man sich mit seinen Figuren nicht zurechtfindet und kein Mitgefühl hat, dann kann man es, glaube ich, lassen. Das ist tatsächlich das Problem von vielen Humoristen, die mal ein Buch schreiben. Es fehlt an Herz. Ganz oft bleibt dort alles auf einem ironischen Level.
Wie ging es mit diesen Kurzgeschichten los? Haben Sie nach „Ein Sommer in Niendorf“ gesagt: Ach, jetzt wieder kurz?
Nein. Die Kurzgeschichten entstehen permanent. Ich sammle alles und wenn ich dann denke, das nächste Buch soll wieder ein Kurzgeschichtenband sein, nehme ich mir die Texte wieder vor.
Die meisten Sachen sind noch nicht fertig geschrieben, sondern existieren eher als eine Art „Kitt“. Ich mache mich dran und versuche, das dann in eine literarische Form zu bringen.
Es gibt also schon neue Geschichten?
Der nächste Kurzgeschichtenband ist fast fertig und erscheint in drei oder vier Jahren. Die kurze Form liegt mir, und man kommt schneller zu Ergebnissen. Romane sind immer eine irre lange Strecke. Bis das mal so gut wird, dauert es wirklich ewig. Kurzgeschichten, also die Fragmente, kann man an einem Tag schreiben. So eine kompliziertere Geschichte, wie die mit den Kroketten, da braucht man auch schon länger.
Wie wählen Sie aus, welche Geschichten es in einen Band schaffen und in welcher Reihenfolge?
Etwa zehn Geschichten habe ich gar nicht reingenommen. Und die Reihenfolge ist schon entscheidend, vor allem, womit man beginnt. Eine ganze Zeit stand die Geschichte mit den Neandertalern am Anfang. Ich habe mich letztlich für eine Sozialbeobachtung entschieden, weil das einfach mehr Leute abholt.
Dann man muss schauen, dass kurze, mittellange und lange Texte sich abwechseln und nicht zwei Fantasy-Sachen aufeinander folgen und so weiter. Dafür habe ich einen Nachmittag gebraucht.
Wie oft landet etwas im Mülleimer?
Das Schöne ist, dass ich keinen Ausschuss habe. Ich habe natürlich die erste Fassung einer Geschichte oder eines Romans. Die sind meistens literarisch total schwach. Aber ich bleib dann so lange dran, bis es gut wird, und deswegen kommt es bei mir nie vor, dass ich 40 oder 50 Seiten schreibe und irgendwie denke, das ist aber nichts. Das muss weg. Deswegen habe ich fast 100 Prozent, wie nennt sich das denn… Effektivitäts-Dings?!
„Ich finde diese Blase so unendlich schrottig.“
Ein weiteres Thema ist Selbstoptimierung, etwa in „Der Eisengreis“ oder „Mensch vs. Taler“. Dieser bestimmte Typ Mensch, geht der Ihnen auf den Keks?
An diesem Erfolgs- und Motivations-Coach-Kram arbeite ich mich seit 25 Jahren ab. Das ist, wenn man so will, eines meiner bestimmenden Themen. Ich finde diese Blase so unendlich schrottig. Es gibt die alten Typen mit ihrem klassischen Erfolgscoaching und dann gibt es auf Youtube die ganzen jungen Arschlöcher, die Tipps geben, wie man schnell zur ersten Million kommt. Das ganz große Grauen! Um das zu karikieren bringe ich demnächst meinen Kalender raus.
Menschen am Rande der Gesellschaft scheinen in den Geschichten besonders wichtig zu sein.
Eigentlich auch nicht wichtiger als andere. Aber grundsätzlich ist es so, dass Leute mit Problemen interessanter sind, als Leute ohne Probleme. Ich komme aus Harburg und habe da eher mit einfachen Leuten zu tun gehabt. Deswegen empfinde ich immer schon große Empathie mit Menschen, denen es nicht so gut geht. Also bestes Beispiel ist die Geschichte „Der unglückliche Flaschensammler“ oder auch „Auskunft“, weil die eine schöne Pointe hat. Oder „Die Malocher“, eine Geschichte ohne böses Ende.
Eine Episode in „Der gelbe Elefant“ heißt „Nachrichten von Carola“ und, nun ja, dort schickt Ihnen Carola Nachrichten. Sind die echt?
Das ist ein Betriebsgeheimnis.
Im Klappentext Ihres neuen Werks heißt es, Sie würden die Komik aus der Tragik herausschälen. Können Sie dem etwas abgewinnen?
Na ja, ich finde meine Bücher schon auch unterhaltsam und lustig. Es ist kein Comedy-Humor. Aber es gibt immer wieder, wie ich finde, extrem lustige Passagen, allein schon in der Geschichte mit den Kroketten.
Wo die begehrten Kroketten aus sind …
Genau. Das war eine Beobachtung von mir: Die Kroketten waren aus und der Abend war gelaufen. Alles andere habe ich mir ausgedacht. Aber ich versuche, in der Beschreibung der Menschen möglichst nicht zu übertreiben, sondern es so realistisch wiederzugeben, wie ich es erlebe. Nun kann es natürlich sein, dass ich ein düsteres Menschenbild habe als andere, aber ich versuche eben nicht, alles in die Groteske zu verzerren.
Eine letzte Frage am Rande: Wie steht es um Ihrer Band Fraktus?
Das ist vorbei. Endgültig.
Wir danken Ihnen für das Gespräch.