15. Oktober 2021
Magazin-Tipp

Ich suche eine Antwort, finde aber keine

Oberleutnant Norman Raddatz war dreimal im Afghanistan-Einsatz, zuletzt 2018 als seine Frau schwanger war. Vor Ort bildete er die afghanische Polizei aus. Zurück in Deutschland ging der Bundeswehrsoldat in eine ganz andere Art Einsatz.

Norman Raddatz ist Oberleutnant der Bundeswehr - Porträt

Foto: Bundeswehr/LKdoHH

Oberleutnant Norman Raddatz war für die Bundeswehr dreimal in Afghanistan, zuletzt 2018 als seine Frau schwanger war. Vor Ort bildete er die afghanische Polizei aus. Zurück in Deutschland ging der Bundeswehrsoldat in eine ganz andere Art Einsatz.

 

Herr Raddatz, waren Sie von der Mission in Afghanistan überzeugt?
Grundsätzlich ja. Ich begann meine Auslandserfahrung mit der Ausbildung der afghanischen Sicherheitspolizei. Von dieser Arbeit war ich überzeugt.

Worin bestand Ihre Aufgabe genau?
Unser primärer Auftrag war 2009 die Ausbildung der afghanischen Nationalpolizei. Das muss man sich so vorstellen: Wie auch bei uns werden dort vor Ort Polizeikräfte herangezogen – dort in sehr jungem Alter. Sie wurden von uns in einem Trainingscamp ausgebildet. Man kann das mit einer Grundausbildung vergleichen. Danach wurden sie auf die Straße entsandt und von uns bei allen Polizeiaufgaben begleitet, sei es auf der Straße, aber auch bei der Bürokratie.

Wie war die Situation vor Ort für Sie?
Für mich war alles neu und ich kannte den Auftrag im Grunde nur aus Erzählungen. Vor Ort war es dann sehr friedlich, ganz anders, als ich es mir vorgestellt hatte – auch in Bezug auf die Zusammenarbeit mit den Afghanen. Hier trafen schließlich zwei völlig verschiedene Kulturen aufeinander. Alle waren sehr herzlich zu uns. Das hatte ich so nicht erwartet. Die Afghanen waren gewillt zu lernen. Man hatte den Eindruck, dass sie etwas verändern wollten und haben sehr gut mit uns zusammengearbeitet.

„Ende Januar bekam ich dann einen Anruf mit dem Auftrag, nach Afghanistan zu gehen“

Zur Zeit Ihres letzten Auslandseinsatzes war Ihr erstes Kind auf dem Weg. Wussten Sie, ob Sie zur Geburt wieder zurück in Deutschland sind?
Tatsächlich nicht. Im Januar 2018 erfuhren wir, dass wir Eltern werden. Ende Januar bekam ich dann einen Anruf mit dem Auftrag, nach Afghanistan zu gehen – relativ kurzfristig. Parallel stand auch noch unser Umzug an. Es war nicht so einfach, das mit meiner Frau zu besprechen, denn der Einsatz sollte schon drei bis vier Wochen nach dem Anruf losgehen. Letztendlich bin ich dann runter- gegangen, auch wegen meines Anspruchs an mich selbst. Der „Auftrag“ meiner Frau war es dann, den Umzug durchzuführen, was vor dem Hintergrund auch für mich nicht unbedingt einfach war.
Es war nicht klar, ob ich zur Geburt wieder zurück bin, aber ich kam zwei Wochen vorher heil an.

Konnten Sie die Schwangerschaft irgendwie mitverfolgen?
Teils. Da gab es eine ganz witzige Begebenheit. Meine Frau wollte das Geschlecht unseres Kindes nicht vor der Geburt wissen, ich aber schon. Also hat es die Gynäkologin auf einen Zettel geschrieben und mir diesen dann per Post zukommen lassen.

Sie sagten, Sie wussten nicht, ob Sie rechtzeitig zur Geburt Ihres Kindes zurück sind.
Woran lag das?
Bei jedem Einsatz gibt es einen „Out-Termin“. Wir waren in Afghanistan bei diesen Terminen sehr auf die Amerikaner angewiesen – hatten also keinen direkten Einfluss darauf. Ich wusste lange nicht, ob der Out-Termin klappt. Aber ich wurde planmäßig ausgeflogen.

„Das gab mir den nötigen Halt und half, mich auf den Einsatz zu
konzentrieren.“

Bei Ihrem Beruf besteht ein hohes Risiko. Wie war denn der Gedanke, dass Sie vielleicht gar nicht zurückkommen, auch für Ihre Frau?
Man muss sich klar damit auseinandersetzen, nicht nur für den Fall, dass man nicht zurückkommt, sondern auch für den Fall, dass sich Persönlichkeiten verändern. Wir haben uns ganz konkret damit auseinandergesetzt. Das war mir sehr wichtig. Das Allerwichtigste in dieser Zeit war mir aber zu wissen, dass zu Hause alles funktioniert. Ich habe ganz starken Rückhalt von meiner Frau erhalten, die mir in Telefonaten berichtete, dass alles in Ordnung sei und ich mich um nichts sorgen müsse. Und sie hat ihrerseits viel Unterstützung von Freunden erfahren, auch beim Umzug.
Mein bester Freund hat zweimal wöchentlich zwei Stunden Fahrt auf sich genommen, um die schweren Einkäufe und so weiter zu machen. Das gab mir den nötigen Halt und half, mich auf den Einsatz zu konzentrieren.

Andere haben diesen Rückhalt vielleicht nicht. Ist es da verantwortbar, jemanden in Ihrer
age in den Einsatz zu schicken?
Da kann ich nur für mich sprechen. Wenn ich mit meinem militärischen Vorgesetzten bespreche, dass da etwas ist, das mich im Einsatz ablenken würde, dann muss ich es sagen, denn ich habe nicht nur die Verantwortung mir gegenüber, sondern auch gegenüber meinen Kameradinnen und Kameraden. Dann gibt es Möglichkeiten, die Probleme mit dem Dienstherrn aus dem Weg zu schaffen, oder ich gehe nicht.

„Dieses Funkeln, das war für uns Gold wert.“

Wie ging es Ihnen als werdender Vater, wenn Sie im Einsatz mit Kindern zu tun hatten?
Wir hatten immer Präsente dabei, gerade für die Kinder, etwa Malbücher und Stifte. Da gab es ein spezielles Erlebnis:
Wir sind rausgefahren. Es war weit und breit gar nichts, mitten in der Wüste. Wir hielten an, bauten die äußere Sicherung auf und es dauerte keine drei Minuten, bis rund um uns Kinder standen. Da habe ich mich hingesetzt, versucht, mit den Kindern Kontakt aufzunehmen, habe diese Malbücher rausgeholt, in ein Buch gemalt und habe die Bücher und Stifte dann übergeben.

Dieses Funkeln, das wir da in den Augen wahrgenommen habe, war so besonders, dass ich und andere Kameraden uns entschieden, Kontakt mit unseren Familien aufzunehmen. Wir wussten, da stehen hier und da brauchbare Sachen in den Kellern herum, und wir haben uns diese Dinge schicken lassen, um sie gerade bei solchen Gelegenheiten zu verteilen. Das war uns eine Herzensangelegenheit, denn dieses Funkeln, das war für uns Gold wert.
Es zeigte uns, dass es nicht verkehrt ist, dort zu sein, zu unterstützen und den Kindern Freude zurückzubringen.

Sie haben afghanische Polizeikräfte ausgebildet und auch die afghanische Armee wurde von der Bundeswehr ausgebildet. Können Sie sich erklären, warum die Taliban einfach durchmarschieren konnten?
Bedauerlicherweise nicht. Ich stelle mir oft die Frage, was haben wir dort eigentlich gemacht? Ich muss ganz klar sagen, was wir getan haben, war richtig und gut. Die Ausbildung und das taktische Vorgehen waren gut und auch zielführend.
Ich kann mir rückblickend nicht erklären, wie die jetzige Situation eintreten konnte.

„Im Nachhinein bin ich enttäuscht.“

Würden Sie sagen, dass die Mission sinnlos war?
Das würde ich nicht sagen. Wenn wir über die ganzen 20 Jahre sprechen, ist schon viel vorangekommen, gerade die Sicherheit auf den Straßen und die Polizeipräsenz oder die Ausstattung der Kräfte. Im Nachhinein bin ich aber enttäuscht.

Präsident Biden sagte um die Zeit des amerikanischen Abzugs aus Afghanistan, die USA würden keinen Krieg mehr für ein Land führen, das selbst nicht kämpfen will. Ihr Eindruck scheint ein anderer zu sein.
Am Beginn der Operation 2001 war es so: Die Menschen waren kriegsmüde, die Menschen wollten Veränderung und ich bin der Meinung, die haben wir gebracht. Man sieht im Nachhinein, das Land hat Fortschritte gemacht. Ich kann für mich sagen, dass es wichtig war, dass wir dort waren. Wie es jetzt weitergeht, bleibt Spekulation.

Würden Sie wieder nach Afghanistan gehen?
Ich würde wieder gehen.

Wie sieht Ihr jetziger Dienst aus?
Ich bin seit einigen Jahren im Landeskommando Einsatzleiter im Lagezentrum. Dort bin ich im Bereich zivil-militärische Zusammenarbeit tätig.

In diesem Zuge waren Sie auch für die Amtshilfe in der Pandemie zuständig?
Genau. Das ging alles über meinen Schreibtisch. Das ist natürlich eine Ausnahmesituation gewesen. Wir hatten hier auch Amtshilfen ganz anderer Art, zum Beispiel für eine kurzfristig umquartierte Feuerwache.
Die Kooperation mit den zivilen Behörden, etwa für Aufgaben der Nachverfolgung von Corona-Fällen oder pflegerische Unterstützung durch „helfende Hände” – eine Initiative der Bundeswehr im Pflegebereich – gehörte zu meinen Aufgaben.

Herr Raddatz, wir danken Ihnen für das Gespräch.

Auch interessant