In diesem Jahr wird ein neuer Bundestag gewählt. Doch wen oder was wählt man da eigentlich? Wir bringen ab jetzt monatlich zwei Interviews der Hamburger Landesvorsitzenden. – Michael Kruse ist seit dem 25. April Landesvorsitzender der FDP in Hamburg und Spitzenkandidat für Bundestagswahlen in diesem Jahr.
Herr Kruse, Wie ist die wirtschaftliche Grundposition der FDP im Moment, Herr Kruse?
Wir müssen in diesem Jahr alles daransetzen, die Bereiche der Wirtschaft, die aufgrund der Corona-Maßnahmen stark gebeutelt sind, wieder auf die Beine zu bringen. Gerade in der Gastronomie, im Tourismus und dem Handel und anderen Dienstleistungen sehe ich viele Einzelselbstständige, die vielleicht ein, zwei oder drei Mitarbeiter haben. Manche haben kaum noch Umsatz, nicht wenige haben Schulden. Es ist mir wichtig, dass wir diesen Menschen, die Verantwortung für unsere Gesellschaft übernehmen und die jetzt unverschuldet in Not geraten sind, wieder auf die Beine helfen und ihnen die Möglichkeit geben, für sich selbst und andere wieder sorgen zu können.
Viele Selbstständige haben nie nach Subventionen gerufen. Sie stehen nicht als erstes beim Staat auf der Matte, sondern übernehmen Verantwortung für sich und andere. Die Notwendigkeit der Maßnahmen stelle ich nicht grundsätzlich infrage. Doch diese Gruppe von Menschen leidet besonders und hat wirtschaftspolitische Solidarität verdient. Weil die Gesundung dieser Wirtschaftsteile auch darüber entscheidet, ob wir gestärkt in die Zukunft gehen oder bald ein oder zwei Millionen Arbeitslose mehr haben. Menschen, die viel Verantwortung übernehmen, dürfen nicht die großen Krisenverlierer sein.
Wirtschaftspolitik ist an vielen Stellen auch Psychologie. An dieser Stelle kommt es zwar auf hartes Geld an, aber eben auch auf positive Signale. Mein Vorschlag: Wir lassen diese Branchen, die monatelang im Lockdown waren, in diesem und im kommenden Jahr einfach mal komplett in Ruhe. Keine Steuerprüfung, keine Sozialversicherungsprüfung, keine Statistikpflicht. Das sind meine konkreten Vorschläge. So können sich diese Menschen auf ihr Geschäft konzentrieren und wir würden in diesen Branchen ein positives Signal setzen. Das Gute daran wäre, dass es den Staat nicht einen Euro kostet – die Bürokratie kann dann nachgeholt werden, wenn es die Unternehmen durch die Krise geschafft haben.
Das sind die psychologischen Signale. Man entlastet die Menschen, lässt sie in Ruhe. Wie hilft man den Menschen darüber hinaus?
Politik muss den Anspruch erfüllen, dass wegen der Maßnahmen zur Abwendung einer Pandemie kein Unternehmen pleitegeht. Das ist ein hoher Anspruch. Er ist am Anfang der Pandemie sehr häufig formuliert worden. Nun höre ich ihn nur noch selten. Das macht mir Sorgen. Weil es ja nicht sein kann, dass der Staat Menschen in existenzbedrohende Schwierigkeiten bringt. Jeden Monat gibt es ein neues Programm: Novemberhilfen, Dezemberhilfen, Überbrückungshilfe und so weiter. Die Programme passen aber alle nicht zueinander. Ich möchte ein Beispiel aus Hamburg nennen, das mich derzeit umtreibt.
Der Senat hat gesagt, öffentliche Vermieter würden Mieten erlassen, wenn klar ist, dass in dem Volumen, das gestundet wurde, nicht zurückgezahlt werden kann. Aber wenn Mieten erlassen werden, greifen andere Fördergelder, die der Senat zugesagt hat, nicht mehr. Ich kenne Unternehmer, die sich jetzt in der Entscheidungssituation befinden und auf die Mieterlasse verzichten, weil sie sich dadurch schlechter stellen. Diese Angebote müssen aufeinander abgestimmt sein. Es war lange genug Zeit, sich über diese Maßnahmen Gedanken zu machen.
Ein zweites Beispiel: Die Maßnahmen sind mittlerweile so komplex, dass die Beratungsleistung teils mehr kostet, als man am Ende eigentlich bekommt. Ich kenne Unternehmen, die 7.000 Euro Hilfsleistungen zugesagt bekommen haben und 8.000 Euro für den Steuerberater bezahlten, nur um an diese Gelder ranzukommen. Das kann’s nicht sein.
Auch die Kulturschaffenden sind von der Krise besonders betroffen. In Deutschland wird Kultur gefördert, etwa mit der Filmförderung, aber die Förderung scheint ihr Ziel zu verfehlen. Um bei der Filmförderung zu bleiben: Die geförderten Filme sind mehrheitlich nicht besonders gut. Wie könnte man den Kulturschaffenden und der Kultur wirtschaftlich zukünftig besser helfen?
Wir geben auch in Hamburg aus der Kultur- und Tourismustaxe hohe Beträge aus, um große Einzelevents nach Hamburg zu holen, wie die Goldene Kamera in den letzten Jahren. Wir sollten in diesem Bereich mehr in die Breite verteilen, statt große Einzelveranstaltungen mit viel Geld in die Stadt zu locken. Wir wissen, dass wir in der Breite gerade wegen der Corona-Maßnahmen ein Problem haben. Also: mehr Breite, weniger Spitze. Und gerade die Spitzenveranstaltungen sind morgen wieder weg, wenn eine andere Stadt mehr Geld bietet. Ich glaube, dass die Stadt, und damit viele Krisenbetroffene, deutlich mehr davon profitieren würden, wenn mehr kleine Kulturschaffende gefördert werden.
Der Kulturbereich muss sich zudem überlegen, wie zukünftig Produktionen, die früher ausschließlich analog stattgefunden haben, den Weg in die digitale Welt finden. Da gibt es vom Hamburger Senat den Digitalbonus. Wenn Unternehmen, auch Kulturschaffende und Einzelkulturschaffende, eine Unterstützung für Digitalisierungsmaßnahmen brauchen, können sie sich hiermit auseinandersetzen, damit sie sich letztlich auch neue Absatzkanäle erschließen.
Wie ist die Haltung der FDP zum Thema Umwelt und Nachhaltigkeit?
Als Liberale wollen wir immer eine ganzheitliche Sicht auf das Thema. Der Nachhaltigkeitsbegriff bezieht sich ja nicht nur auf die Umwelt. Er bezieht sich darauf, dass man die Welt nicht über ihre Erholungsfähigkeit hinaus fordert. Das bedeutet finanzielle Nachhaltigkeit, soziale Nachhaltigkeit und ökologische Nachhaltigkeit. Das ist unser ganzheitlicher Nachhaltigkeitsbegriff. Bei der ökologischen Nachhaltigkeit ist es unser Ziel, dazu beizutragen, dass wir möglichst schnell zu einer Welt kommen, in der nicht mehr Rohstoffe verbraucht werden als nachwachsen können. Da setzen wir auf marktwirtschaftliche Instrumente in einem staatlichen Regelungsrahmen. Für CO2 soll nicht der Staat den Preis festlegen, wie andere es fordern. Wir sagen: Alle die CO2 produzieren, müssen Teil eines Zertifikatehandels werden. Und im Zertifikatehandel gibt es nur eine gewisse Menge von Zertifikaten. Mehr CO2-Emission ist nicht zulässig. Wie teuer dann das einzelne Zertifikat ist, das wollen wir einem Marktmechanismus überlassen. Je mehr Innovationen entstehen, desto mehr Zertifikate werden frei und diese werden dann Stück für Stück aus dem Markt genommen. So senkt man dann auch kontinuierlich die CO2-Emission. Aber eben auf dem günstigsten Weg.
Ich habe neulich aus dem Logistikbereich gehört, dass die Wirtschaft einiges schneller regeln könne als die Politik. Strafen auf veraltete Flugzeuge, die mehr Lärm und Abgase emittieren, hätten so schneller zur Erneuerung der Flotten geführt, als es Gesetze getan haben.
Der Hamburger Flughafen ist ein sehr gutes Beispiel: Er hat sehr früh auf moderne Ansätze gebaut, hat höhere Preise für lautere Flugzeuge eingeführt. Über solche Bepreisungen entscheidet sich, was für Unternehmen noch wirtschaftlich ist. Genau diese Form von Anreizen sollte der Staat setzen. Wir haben einen Regelungsrahmen und ein Ziel. Dieses Ziel lautet: Wir müssen die CO2-Emissionen drastisch reduzieren, um zu einer ausgeglichenen Gesamtbilanz zu kommen, weltweit. Ich werde in Interviews manchmal gefragt, was wir im Klimaschutz in Hamburg tun. Wir werden das Klima nicht in Hamburg allein retten, sondern wir müssen dafür sorgen, dass solche Instrumente weltweit etabliert werden. Es ist ein internationales Thema.
Wir können dazu mit Innovationen beitragen, etwa im Bereich regenerative Energien. Also einen Regelungsrahmen setzen, um Innovationen zu beschleunigen, auch hier am Standort, und zu fragen: „Wie schaffen wir Innovationen über innovative Forschung in diesem Bereich, zum Beispiel in der Wasserstofftechnologie. Damit können wir die Zukunft emissionsärmer und perspektivisch emissionsfrei machen. Das sind unsere Aufgaben als entwickelte Welt. Wir setzen damit Maßstäbe. Wir müssen diese Form von Innovationen entfesseln, sie auch anreizen in Unternehmen.
Wie schätzen Sie das Bildungssystem momentan ein? Was muss sich eventuell ändern?
Also aus der Hamburger Erfahrung um die 2010er-Zeit weiß ich: Schulformdebatten sind lang und bringen keine qualitative Verbesserung für das System. Wir wollen die Qualität der Abschlüsse stärken: Wer ein Abitur bekommt, muss auch in der Lage sein, ein Studium zu beginnen. Dafür darf nicht so viel Unterricht ausfallen. Beim Thema Inklusion wollen wir Wahlmöglichkeiten behalten: Es gibt Kinder, für die sind individuelle Förderkonzepte an speziellen Schulen der richtige Weg, und es gibt Kinder, für die es viel besser ist, über Inklusion in einer ganz normalen Schule beschult zu werden. Kinder sind sehr unterschiedlich und deswegen müssen es auch die Schulformen sein, um auch unterschiedlich integrieren zu können. Wichtig ist, dass jedem jeder Weg offensteht.
Wie sehen Sie den Punkt Digitalisierung im Bildungskontext?
Meine Nachbarskinder haben jetzt gerade Hausarbeiten von zu Hause geschrieben, in Physik – herausfordernd. Der Digitalunterricht in Hamburger Schulen hat nicht so funktioniert, wie er sollte. Und während Unternehmen es innerhalb von wenigen Wochen geschafft haben, ganze Geschäftsmodelle auf digital umzustellen, sind die Schulbehörden immer noch dabei. Und die Bildungsserver brechen regelmäßig zusammen und sind überlastet. Das ist ein Mangel. Da haben wir als FDP Hamburg im Bundestagswahlprogramm eine Forderung eingebracht: Wir wollen auf Bundesebene eine Bundeszentrale für digitale Bildung. Denn solange Bildung Ländersache ist, muss es eine Einheit geben, die Best-Practice-Beispiele für alle entwickelt. Wir heben einfach Synergien daraus, dass es im Moment an vielen Stellen unterschiedlich gemacht wird, um von überall die besten Erfahrungen zusammenzubringen.
Wir setzen uns sehr für Chancengerechtigkeit ein. Unser Ziel ist, dass alle am Anfang die gleichen Möglichkeiten haben, das zu erreichen, was sie erreichen wollen. Und dafür ist der Zugang zu Sprache ab Klasse 1 das entscheidende Thema. Wer die Sprache am Anfang schlechter versteht, lernt über die gesamte Schulzeit weniger. Wir müssen als Stadt, als Verantwortliche in der Politik für die Bildungserfolge von Kindern alles tun, damit Kinder ab der ersten Klasse verstehen, was gelehrt wird. Da muss es schon vor der 1. Klasse guten Nachhilfeunterricht geben. Wir müssen das sicherstellen, weil wir auch als Gesellschaft diese Potenziale heben wollen. Kinder dürfen nicht benachteiligt sein, weil ihre Eltern ihnen nicht die notwendigen Sprachkenntnisse vermitteln können. Da brauchen wir mehr Chancengerechtigkeit.
Ich habe das am Beispiel von Tablets gesehen, zum Beispiel haben die Schulen hier im Hamburger Westen nicht so sehr das Problem, Eltern auszustatten mit Geräten, die sie selbst nicht anschaffen können. In Wilhelmsburg sieht das, glaube ich, anders aus.
Wir müssen sicherstellen, dass alle Kinder Zugang zu guter digitaler Ausstattung bekommen. Ich war vor sechs Jahren mit meiner Partnerin in Kolumbien, wo sie für ein soziales Projekt gearbeitet hat, in der Nähe von Medellín. Alle Schüler hatten dort einen kleinen Computer, auf dem sie Coden lernten – vor sechs Jahren in Kolumbien, in einer dörflichen Region. Die Menschen dort wollen noch etwas von der Zukunft. Sie sagen: „Wir sind noch nicht vorne, aber wir wollen mit nach vorn. Die Zukunft gehört uns.“ Und diese Form von Zukunftsbegehren wollen wir auch hier hinbekommen. Es ist unsere Aufgabe, allen die Chance zu geben, in der Zukunft etwas erreichen zu können. Und das darf nicht vom Geld der Eltern oder von der sprachlichen Befähigung abhängen.
Wie können wir gleichzeitig für mehr Sicherheit sorgen und die Freiheit der Bürger trotzdem aufrechterhalten?
Wir müssen Bedrohungen von Linksextremen, Rechtsextremen und aus dem islamistischen Spektrum wirksam bekämpfen. Der Staat hat die Aufgabe, uns Bürger gegen Angriffe zu schützen und muss die freiheitlich-demokratische Grundordnung effektiv verteidigen. Das bedeutet: zielgenau observieren, und eben nicht alle Bürger unter Generalverdacht stellen.
Wir brauchen zum Beispiel Sicherheitsbehörden mit klar definierten Kompetenzen, die nicht dazu genutzt werden dürfen, dass alle überwacht werden. Anlasslose Vorratsdatenspeicherung etwa halten wir für problematisch, weil sie Bürger unter Generalverdacht stellt. Sie lässt den Begründungszwang der kontrollierenden Behörde entfallen, das ist nicht unser Ziel. Wir wollen, dass diejenigen, die für die Sicherheit sorgen, auch begründen müssen, wen sie observieren. Und dann müssen sie es auch können. Das ist die Balance, um die es geht. Staatsbürger sind erst mal nicht verdächtig. Eine staatliche Institution muss begründen, warum jemand verdächtig ist. Aber sie darf auch nicht so stark eingeschränkt sein, dass sie die Sicherheit nicht effektiv schützen kann.
Bundeswehr und Rüstung: Wie steht die FDP dazu?
Punkt 1: Wir müssen dafür sorgen, dass unsere Soldaten, die wir in Auslandseinsätze schicken, bestmöglich ausgestattet sind. Ich habe selbst Mitarbeiter gehabt, die in den Missionen, in denen die deutsche Bundeswehr eingesetzt war, dabei waren. Die haben mir gesagt, dass sie erst einmal im Auslandseinsatz von ihrem privaten Geld zusätzliche Sicherheitsausrüstung gekauft haben, die vor Ort gehandelt wird, weil sie eben nicht optimal geschützt waren. Das ist inakzeptabel. Wenn man Menschen in bewaffnete Einsätze schickt, dann muss man sie optimal schützen. Punkt 2: Der Großteil dessen, was früher als Kalter Krieg bezeichnet worden ist, findet mittlerweile im Cyberraum statt. Die Kriegszone des 21. Jahrhunderts ist das Eindringen in gegnerische Infrastruktur, das gezielte Lahmlegen, das Ausspähen von Infrastruktur, von vertraulichen Daten und Informationen. Wir wissen, dass es mit großer Wahrscheinlichkeit einen russischen Hackerangriff auf den Deutschen Bundestag gab. Das ist die Form von Bedrohung, mit der wir im 21. Jahrhundert umgehen müssen. Deutschland ist darauf derzeit nicht gut vorbereitet. Dieser Bereich verdient viel größere Aufmerksamkeit. Wenn in Deutschland zwei bis drei Tage die Energieversorgung lahmgelegt wird, dann bricht hier vieles zusammen. Wir müssen in diesem Bereich viel besser aufgestellt sein.
Wie stehen Sie zu gendergerechter Sprache und Gendergerechtigkeit?
Wenn Sie sich die historische Entwicklung von Sprache anschauen, dann hat eins nie funktioniert: Von oben zu diktieren, wie Sprache zu funktionieren hat. Als die Franzosen da waren, ist das Portemonnaie in die deutsche Sprache gekommen. Sprachen beeinflussen sich gegenseitig. Der Versuch, von oben eingreifen zu wollen, wie jetzt gesprochen werden soll, wird scheitern. Ich finde, dass man im persönlichen Gebrauch durchaus darauf achten kann, dass man alle Menschen auch anspricht und dass sich auch alle Menschen angesprochen fühlen. Aber ich würde nicht den harten Weg gehen, zu sagen, er müsste jetzt immer ein Sternchen noch da reinschreiben und das „In“ noch groß und so weiter. Das hemmt die Sprache und die Verständlichkeit. Eine Genderpflicht halte ich ebenso für falsch, wie den Versuch, es zu verbieten. Ein bisschen mehr Liberalität tut dieser Debatte gut.
Brauchen wir eine Frauenquote?
Nein, brauchen wir nicht. Ganz praktisches Beispiel: Wir haben gerade den FDP-Landesvorstand neu gewählt. Im Präsidium sitzen drei Frauen und drei Männer, ganz ohne Quote. Wir haben zwei aussichtsreiche Listenplätze. Einer ist männlich belegt, der andere mit Ria Schröder weiblich. Und ich sage Ihnen, was im Listenaufstellungsprozess nie eine Rolle gespielt hat: die Frage, ob jemand männlich oder weiblich ist. Wir wählen gute Leute nach vorne. Und das kann ich nur jedem raten. Und jeder, der sich mit dem Thema beschäftigt, lernt, dass heterogene Teams einfach besser „performen“. Das gilt in der Politik, aber auch in der Wirtschaftswelt, der Kultur, einfach überall. Wir sind sehr bemüht, den Frauenanteil im Mitgliederbereich zu erhöhen, der ist ausbaufähig. Es ist unser Anspruch, heterogen zu sein und auch eine Diversität abzubilden, aber ohne dass man Menschen oder Organisationen dazu zwingt.
Deutschland ist ein Zuwanderungsland. Wie soll sich Deutschland hier zukünftig aufstellen?
Wir brauchen Zuwanderung, vor allem um unseren Fachkräftebedarf zu decken. Wir sollten uns als Land dringend Gedanken darüber machen, wie wir die Rahmenbedingungen dafür richtig setzen. Wir haben uns bisher nicht als Einwanderungsland begriffen. In den 50ern und 60ern hat dieses Land das Thema Zuwanderung völlig falsch angefasst. Die deutsche Politik hat damals Menschen zum Arbeiten hergeholt und ihnen gesagt: „Ihr geht aber bald wieder.“ Sie wurden nie richtig integriert. Daraus sind viele Folgeprobleme entstanden. Dies sollte unser Land jetzt mal anders machen. Wir sollten Menschen sagen: Ihr könnt gerne herkommen, wenn Ihr etwas zur wirtschaftlichen Entwicklung dieses Landes beitragen möchtet und Euch an die Regeln dieses Landes haltet. Wir brauchen Zuwanderung von Menschen, die hier Chancen suchen, und wir sollten uns um sie bemühen, weil uns in vielen Bereichen schon jetzt die Fachkräfte ausgehen. Dafür die Rahmenbedingungen zu schaffen, das ist unsere politische Aufgabe.
Möchten Sie noch etwas zum Thema Infrastruktur sagen?
Die Infrastruktur ist staatliche Aufgabe, im klassischen Verkehrsbereich, wie im Digitalen. In beiden Bereichen gibt es großen Nachholbedarf. Wir sehen es im Straßenbau und auch bei der Schiene. Der Ausbau des Schienennetzes hat ökologisch große Vorteile, kommt aber zu langsam voran. Die Planung für Infrastrukturprojekte, etwa für den Abtransport von Gütern aus dem Hamburger Hafen, darf nicht Jahrzehnte dauern. Wir müssen den Turbo einlegen beim Infrastrukturausbau. Beispielhaft ist das bei der Elbvertiefung zu erkennen: 15 Jahre bis zur Realisierung ab der ersten Planung, 20 Jahre ab der ersten Idee – solange darf es nicht dauern. Ich möchte mich für die sogenannte Präklusion einsetzen. Das bedeutet, in einem Planungsverfahren gibt es am Anfang einen Zeitraum, in dem Einsprüche vorgebracht werden können und die werden dann abgearbeitet. Es kann nicht sein, dass immer und immer wieder neue Einwände gegen Planfeststellungsverfahren vorgebracht werden, nur um diese zu verhindern. Es muss zukünftig einen finalen Zeitpunkt geben, an dem der Prozess abgeschlossen ist und man an die Realisierung des Projekts geht.
Auch bei der digitalen Infrastruktur müssen wir schneller und besser werden. Die Debatte um 5G hat gezeigt, dass die deutsche Politik noch redet, während andere Länder bereits flächendeckend neue Technologie zum Einsatz bringen. Wer die digitale Infrastruktur stiefmütterlich behandelt, sägt an dem Ast, auf dem wir sitzen. Ich möchte den Ausbau der digitalen Infrastruktur beschleunigen und damit gute Bedingungen für die nächsten Generationen schaffen.
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